Krebs-Kompass-Forum seit 1997  


Zurück   Krebs-Kompass-Forum seit 1997 > Spezielle Nutzergruppen > Forum für Hinterbliebene

Antwort
 
Themen-Optionen Ansicht
  #1  
Alt 24.03.2012, 05:03
Benutzerbild von HelmutL
HelmutL HelmutL ist offline
Registrierter Benutzer
 
Registriert seit: 03.03.2007
Ort: Dreiländereck
Beiträge: 1.986
Standard AW: Hinterblieben, nur wo?

Du weisst warum


warum ich glücklich bin,
wenn ich an dich denke.
warum ich traurig bin,
wenn ich an dich denke.

wenn ich an dich denke,
beginnt mein Herz zu rasen.
wenn ich an dich denke,
beginnt mein Kopf zu dröhnen.

warum die Angst,
wenn ich an dich denke.
warum ich weine,
wenn ich an dich denke.

wenn ich an dich denke,
geht mir der Atem aus.
wenn ich an dich denke
geht mein Herz auf Reisen.

warum du mir fehlst,
wenn ich an dich denke.
warum es mich quält,
wenn ich an dich denke.

wenn ich an dich denke,
dann weine ich.
wenn ich an dich denke,
dann lache ich.
wenn ich an dich denke,
dann fühle ich.
wenn ich an dich denke,
dann liebe ich.


geeint
wenn ich weine, lache, fühle, liebe
entzweit


(24.03.2012)




__________________
Zeit zum Weinen, Zeit zum Lachen.
http://www.krebs-kompass.org/howthread.php?t=31376
http://www.krebs-kompass.de/showthread.php?t=48070

Die von mir im Krebs-Kompass verfassten Texte dürfen auf anderen Homepages und in anderen Foren ohne meine ausdrückliche Zustimmung weder verwendet noch veröffentlicht werden. Auch nicht auszugsweise.
Mit Zitat antworten
  #2  
Alt 29.03.2012, 16:54
Benutzerbild von HelmutL
HelmutL HelmutL ist offline
Registrierter Benutzer
 
Registriert seit: 03.03.2007
Ort: Dreiländereck
Beiträge: 1.986
Lächeln AW: Hinterblieben, nur wo?

Einige Gedanken dazu ...

"Hm ... "
"Ooch Hartmut. Meinste nicht, es wär genug?"
"Wie, was, wo?"
"Den ganzen Morgen hängste schon an der Kiste. Hast schon eckige Augen und in der Wohnung siehts aus .... boah!"
"Ja, ja. Ich mach ja gleich."
"Herr Hartmut! Eigentlich hatte ich mir vorgestellt, dass, wenn ich aus dem Laden komme, ein bisschen aufgeräumt wäre."
"Glahaich!"
"Aber wirklich, ja? Ich mach mir nen Kaffee."
"Helmut? Machst mir auch einen? Bitte."
"Hm ... hast dir heute aber noch nicht verdient. Na gut, ich mach dir auch einen."
"Danke."
...
...
"Hier, bitte schön. Und? Was treibst du da?"
"Ich lese, ich denke, ich lese .... "
"Aha. Denken ist bei dir immer ne stundenfüllende Angelegenheit. Brauchste Kühlung fürn Trafo? Dann ist der Kaffee falsch, da ist ein Kühlkissen angesagt."
"Torfkopp."
"Na sag schon, Hartmut. Was ist heute mal zur Abwechslung wieder los?"
"Mit mir mal ausnahmsweise nix."
"Was dann?"
"Das Gedicht."
"OK. Was ist damit?"
"Ich habs jetzt bestimmt schon 40-mal durchgelesen."
"Wie? Warum?"
"Wie schreibst du eigentlich deine Gedichte? Wie machst du das?"
"Jaaa, pfffffff ..... weiss nicht. Ich hab ne Idee, setze mich hin und schreibe."
"Kein Konzept?"
"Ja, doch, schon. So 'n bisschen. So ganz ohne gehts ja nicht. Ob es dann allerdings auch aufgeht, das Konzept, das Thema, das kann ich vorher nicht immer sagen. Meist ziemlich schwer sind die Reime, die ja auch noch in die Geschichte passen müssen. Die werfen dann sehr oft das Konzept übern Haufen und hinten, am Ende, kommt dann was ganz anderes raus. Oder ein Umweg. Oder was auch immer. Manchmal sogar ne Lösung. Das Thema, die Gedanken dazu, die müssen halt auch gut abgehangen sein bei mir."
"Das letzte Gedicht hat doch keine Reime?"
"Nein, hat es nicht. Braucht es auch nicht. Es ist der Rythmus, der Wechsel in den Absätzen .... verstehst du?"
"Mhm, ja. Fragen und Antworten."
"Nein und ja. Fragen, Zustände und erst ganz am Schluss die Antwort."
"Aha."
"Oder vielleicht doch keine Antwort? Auch nur ein Zustand?"
"Aha."
"Aha, aha ... das ist keine Antwort."
"Naja, so was ähnliches hab ich auch schon gedacht. Irgendwie gehen meine Gedanken kreuz und quer, wenn ich lese."
"Bei dir eigentlich kein Wunder."
"jaja, ist ja gut. Nee, also ... manchmal weiss ich die Zeilen nicht zu zu ordnen. Wem gelten sie bzw. für welche und in welcher Phase der Trauer das Gedicht geschrieben ist? Ich weiss, wie es am Anfang ist, kenne den Verlauf und weiss, wo du heute stehst. Sind da verschiedene Menschen gemeint und welche Zeile zu wem? Oder doch nur ein Mensch? Von damals oder heute? Ich komme nicht dahinter."
"Wieso nicht dahinter, Hartmut? Im Gegenteil."
"Aha."
"Das ist so eine Geschichte, bei der ich im Voraus zwar ein bestimmtes Ziel wollte, welches sich dann jedoch ziemlich verselbstständigt hat. Im Nachhinein lese ich das Gedicht genau wie du."
"Aah, OK. So ist das."
"Du hast es erfasst."
...
"OK dann. Jetzt räumen wir 2-Beiden schnell ein bisschen auf."
"Hast du noch was vor, Helmut?"
"Ja und du auch."
"Nicht dass ich wüsste."
"Doch. Wir sind eingeladen. Zum Schwenken. Hinterm Laden."
"Oh, dann abba schanell ... Isabell."
"Ups! Beinahe vergessen! Die Flasche Rosé muß noch in den Kühlschrank. Die geht nachher auch mit."


Einen wunderschönen Tag,

Helmut
__________________
Zeit zum Weinen, Zeit zum Lachen.
http://www.krebs-kompass.org/howthread.php?t=31376
http://www.krebs-kompass.de/showthread.php?t=48070

Die von mir im Krebs-Kompass verfassten Texte dürfen auf anderen Homepages und in anderen Foren ohne meine ausdrückliche Zustimmung weder verwendet noch veröffentlicht werden. Auch nicht auszugsweise.
Mit Zitat antworten
  #3  
Alt 29.03.2012, 21:02
Benutzerbild von Monika Anna
Monika Anna Monika Anna ist offline
Registrierter Benutzer
 
Registriert seit: 23.11.2008
Ort: Nürnberg
Beiträge: 47
Standard AW: Hinterblieben, nur wo?

Hallo Helmut und Hartmut,
als stille Mitleserin möchte ich Dir heute mal für Deine Texte danken. Vor allem für Dein letztes Gedicht. Für mich drückt genau dieses Gedicht den ganzen Weg bis heute aus.
Noch eine Frag in eigener Sache: wie geht es Deiner Schwiegermutter?

Liebe Grüße
Claudia

Geändert von Monika Anna (29.03.2012 um 21:46 Uhr) Grund: Danke MischMisch
Mit Zitat antworten
  #4  
Alt 30.03.2012, 19:19
Benutzerbild von HelmutL
HelmutL HelmutL ist offline
Registrierter Benutzer
 
Registriert seit: 03.03.2007
Ort: Dreiländereck
Beiträge: 1.986
Standard AW: Hinterblieben, nur wo?

musste grinsen, als ich soeben las ... mindestens 2 User haben hier gelesen und Herbert ist verschwunden. Ich habe nichts gegen Herbert, bestimmt ein netter Mensch aber, Rosita, du hast recht: Helmut passt besser zu mir.

So, dann mal guten Tag

Hallo Claudia,

danke für dein Schreiben und schön, dass du dich noch an meine Schwiegermutter erinnerst. Du schreibst "in eigener Sache". Hat das einen persönlichen Hintergrund? Wenn ja, du kannst mich gerne auch mal per PN anschreiben.

Ja, wie geht es ihr? Gut, schlecht .... wer kann das bei dieser Krankheit tatsächlich genau wissen. Wir sehen als Angehörige die Symptome. Was in ihrem Inneren vorgeht, das können wir lediglich höchstens ahnen. Ob da alles friedlich ist? Keine Ahnung. Nach außen hin schon. Sie zeigt keinerlei Agression, ist immer gut gelaunt, lacht viel und ist ständig am erzählen.

Neulich hab ich sie beobachtet. Sie saß mit anderen Bewohnern zum Kaffeetrinken am Tisch und sie unterhielten sich. Sie erzählte, es gab beifallendes Nicken, mal ernst, mal lachend, Antworten, andere erzählten ihre Geschichte. Eine Szene, wie man sie in jedem Kaffeehaus auf der ganzen Welt nicht normaler erleben kann: ein paar adrette, ältere Damen beim Kaffeekränzchen. So weit, so gut ....

... solange man das aus der Entfernung betrachtet und nicht hört, was sie sich erzählen. Es ist immer und immer wieder die gleiche Geschichte, die man sich erzählt. Jede eine andere und jede für sich. Es ist kein normales Gespräch. Niemand geht auf die Geschichten der anderen ein. Eine stereotype Wiederholung immer der gleichen Geschichten mit geringen, begrenzten Abwandlungen. Ein wirklicher Austausch findet nicht mehr statt. Ist ja auch kein Problem unter den Bewohnern im Heim. Sie vergessen sofort wieder. Sowohl das Gehörte als auch, dass sie bereits ihre Geschichte erzählt haben. Sorry, es ist nicht abwertend gemeint, es ist Fakt: man kann den gleichen Witz erzählen, immer wieder würden sie sich krümmen vor Lachen. Für sie ist der Witz immer wieder neu. Innerhalb von Sekunden vergessen sie, den Witz gerade soeben gehört zu haben.

Es ist die gleiche Geschichte, die auch sie uns immer wieder erzählt und wenn sie zu bei uns zu Hause ist das gleiche Bild. Eine Unterhaltung mit ihr ist nur noch rudimentär möglich. Auf die Frage, wie es ihr ginge, kommt die Antwort: "Es geht mir gut. Heute war ....." und dann kommt ihre Geschichte. Eine andere 'Unterhaltung' ist nicht mehr wirklich möglich.

Ob sie uns noch erkennt? Manchmal ja, manchmal nein. Unsere Namen kennt sie alle. Nur die ihrer Enkel kennt sie oft nicht. Nur, sie kann unsere Namen meist nicht mehr zuordnen. Meist erkennt sie wohl nur bekannte Gesichter. Es kommt vor, dass sie mich mit "Hallo, Helmut" begrüßt um mir dann Sekunden später zu erzählen, dass "der Helmut" sie gestern besucht hat, was sie dann wieder elegant in ihre ewige Geschichte einfädelt. Obwohl das gar nicht stimmt. Sie schaut mir dabei voll ins Gesicht.

Man kann auch nicht mehr zu ihr sagen: "Wir gehen an's Fenster." Nach 2 oder 3 Schritten geht sie dann in eine andere Richtung. Man muss sie bei der Hand nehmen, sie hat jede Orientierung verloren. Ihr Zimmer findet sie trotz eines riesengroßen Namensschildes schon lange nicht mehr. Im Auto findet sie den Türriegel nicht mehr und selbst von außen kann sie die Autotür nicht mehr öffnen. Ist die Autotür dann geöffnet, man steht daneben und sagt "Bitte einsteigen" kommt die Frage: "Da rein??"

Sie ist erschreckend klein geworden und hat sehr viel abgenommen. Ist seit einiger Zeit schon auf Normalgewicht. Was nicht verkehrt ist. Früher hat sie viel gesessen und Süßigkeiten waren immer reichlich zu Hause und für Nachschub war gesorgt. Körperlich ist sie gut in Schuss.

Bis auf eines und das gab letzte Woche und Anfang dieser Woche ordentlich Aufruhr. Sie hatte sich Ende letzten Jahres am rechten Innenknöchel wund gelaufen. Der Arzt, der auch ihr ehemaliger Hausarzt war, wusste Bescheid und wir wähnten uns und sie in Sicherheit. Der Grund: sie hat seit langen Jahren eine starke Veneninsuffizienz und daher immer wieder mit einem offenen Bein zu kämpfen. Der Arzt war damals gut und rührig, zu Hause konnten wir ihr auch helfen. Das Heimpersonal jedoch ist bei so was überfordert. An und für sich verständlich, da sich heute zwischen Personalplanung und Personaldeckung eine riesige Schlucht auftut. Warum auch immer. Egal.

Letzte Woche stellten wir fest, dass sich aus der leichten, jedoch in so einem Fall keineswegs harmlosen, oberflächlichen kleinen Schürfwunde eine offene, etwa 4 mal 5 cm große, eitrige Wunde entwickelt hat. Bei Einsichtnahme der Patientenakte stellte ich dann fest, dass der Arzt fast 5 Wochen zuvor das letzte Mal bei ihr war . Immer noch sehr höflich hab ich dann nachgefragt: wieso, weshalb und warum. Klar, man hat die Wunde behandelt. Was ja auch zu sehen war und Schwiegermutter hat immer wieder an dem Verband gefummelt, was ich selbst auch schon mal beobachtet hatte. Über Schmerzen beim Gehen hat sie nie geklagt und dass die Behandlung sehr langwierig ist, das wussten wir auch. Ihre mit sofortiger Wirkung neue Hausärztin, die wir am nächsten Tag besuchten, gebrauchte den Ausdruck "grenzwertig" als sie von den fast 5 Wochen erfuhr. Dabei schaute sie mich entgeistert an. Sie hat sich dann sofort um einen medizinischen Dienst gekümmert, der ab diesem Tag die Wundversorgung in Abstimmung mit ihr übernimmt.

Natürlich passiert so was immer am Wochenende. Als ich Montags dann um einen Termin mit der Heimleitung bat, war das 'wunderbarerweise' kein Problem. Bereits am nächsten Morgen war ein Termin frei. On y soi, qui mal y pense (Schlecht ist der, der schlecht darüber denkt) dachte ich da nur. Meine Jüngste und ich, beide zunächst auf 180, doch seeehr höflich, konnten dann in einem guten Gespräch die Linie für die Zukunft in gegenseitigem Einvernehmen und Verständnis zwischen Heim- und Stationsleitung und uns ziehen.

Eines hat mich bei dem Gespräch jedoch geschockt: wir sind Aliens! Meine Töchter und ich. Es ist durchaus nicht üblich, dass sich die Verwandten so intensiv bemühen. Die weitaus meisten sind gar nicht interessiert daran, was ihre Altvorderen auf solchen Stationen so machen. Ab und an mal ein Besuch, ne Tasse Kaffee und schon ist das Gewissen beruhigt. Toll, oder?

Ein langes Schreiben und deprimierend zu lesen. Warum ich das so ausführlich beschrieben habe? Dazu gibt es mehrere Gründe.

Zum Ersten, weil du, Claudia, gefragt hast. Danke für dein Interesse.

Zum Zweiten, weil ich weiss, dass so einige hier ebenfalls mit Alzheimer und Demenz ihrer Angehörigen zu tun haben. Ich möchte damit um Verständnis werben für die Betroffenen und noch viel mehr um Verständnis für die Angehörigen, den Co-Betroffenen. Möchte sie, und andere auch, sensibilisieren (sofern nicht schon geschehen) für die Problematik dieser Krankheit. Sie sind es, die die geballte Ladung dieser heimtückischen Krankheit aus zu halten haben, die agieren müssen. Die Betroffenen selbst bekommen davon in der Regel nichts mehr mit.

Zum Dritten. Die Menschen mit dieser Krankheit und ihren zahllosen Varianten sind in diesem Stadium absolut hilflos. Sie können nicht mal mehr kommunizieren mit uns. Beispiel: die neue Ärztin behandelte die Wunde. "Tut das weh?" fragte sie. "Ja", war die Antwort. Ein paar Sekunden nach der Behandlung fragte sie (mit Absicht): "Haben sie Schmerzen?" "Nein", war da die Antwort. Und sie hat Schmerzen. Wir wissen das. Sie nicht mehr.

Zum Vierten. Ok, ich weiss, das ist kein Thema des KK. Doch es tut mir gut, das alles von der Seele zu schreiben. Ich denke dabei nach, ich verarbeite. Zum Glück gibt es auch einen verständnisvollen Menschen, mit dem ich reden kann. Ansonsten ist man irgendwann reif für die Klappse.


"Wir sind die Gedanken von unserer Oma (oder Schwiegermutter)". Meine Jüngste hat den Satz geprägt. Es ist so.


Danke für's Lesen und Zuhören,

Helmut
__________________
Zeit zum Weinen, Zeit zum Lachen.
http://www.krebs-kompass.org/howthread.php?t=31376
http://www.krebs-kompass.de/showthread.php?t=48070

Die von mir im Krebs-Kompass verfassten Texte dürfen auf anderen Homepages und in anderen Foren ohne meine ausdrückliche Zustimmung weder verwendet noch veröffentlicht werden. Auch nicht auszugsweise.
Mit Zitat antworten
  #5  
Alt 04.04.2012, 11:57
Benutzerbild von HelmutL
HelmutL HelmutL ist offline
Registrierter Benutzer
 
Registriert seit: 03.03.2007
Ort: Dreiländereck
Beiträge: 1.986
Standard AW: Hinterblieben, nur wo?

"Moin."
"Moin, Hartmut."
"Na? Ausgeschlafen?"
"Jou. Ich brauch jetzt erst mal nen Kaffee."
"Brauchst nur auf den Knopf zu drücken, Helmut. Alles vorbereitet."
"Danke. Was ist los heute Morgen? So fürsorglich?"
"Bin ich doch immer!"
"Du??"
"Neee, jetzt mal im Ernst. Gestern morgen, das war knapp. Sehr knapp!"
"Achsoo. Naja, stimmt. Sehr knapp."
"Mann, Alter! Deine Reaktionen und Reflexe sind noch gut in Schuss. Wenn dem nicht so wäre, säßen wir jetzt wahrscheinlich nicht hier."
"Da sagst du was, Hartmut. Mein Kreislauf geht jetzt noch hoch, wenn ich dran denke. So ne blöde Tussi."
"Hei, nu mal langsam. Dafür kann sie nix. Dass sie ne Frau ist. Du weißt, Männer sind auch nicht besser."
"Ja, du hast ja recht. Ich meine ja auch nicht alle Frauen am Steuer. Ich meine nur die Eine. OK. Es gibt ja auch noch die aufgemotzten Testosteron-Pfosten, die Wackeldackel-Fahrer und die Träumer. Weißt du, Hartmut, was ich mich manchmal frage?"
"Du sagst es mir."
"Wieso funktioniert das eigentlich so einigermaßen ordentlich im Straßenverkehr? Da sind so viele Leute auf der Autobahn unterwegs und sind wahrscheinlich mit ihren Gedanken ganz woanders. Die simpelsten Verhaltensregeln werden nicht beachtet. Was haben die in der Fahrschule gelernt? Zu Hause kriegen sie nicht mal ne Kaffeemaschine zum laufen und dann in's Auto setzen?"
"Nu reg dich nicht auf. Vielleicht war sie ne Anfängerin."
"Doch, ich reg mich auf. Die Fahrt noch Köln hätte unsere letzte sein können. Kannst du dir vorstellen, was passiert wäre? Dreispurige Autobahn, Betrieb auf allen Spuren? Und dann ein Unfall? Denk an die 30-Tonner, die uns im Genick saßen! Die Menschen, die mehr oder weniger gut gelaunt zur Arbeit fuhren? Es ist scheixxegal, ob das eine Anfängerin war oder nicht! Sie hat die simpelste Regel nicht beachtet: in den Spiegel schauen, Schulterblick und dann ..... den Blinker setzen. Ist das so verdammt schwer? Und wenn man dann die Spur wechselt, so muss man doch auch die Geschwindigkeit anpassen. Ich kann doch nicht einfach so mit knapp 100 km/h auf eine Spur wechseln, auf der die Autos mit 130 fahren. Da muss ich einfach mal Gas geben .... oder ich bleibe, wo ich bin und bremse ein bisschen ab und warte, bis Platz ist zum Spurwechsel. Auch sehr viele 'erfahrene' Fahrer verhalten sich wie diese Frau. Sie setzen sich in's Auto und schalten den Kopf ab. Ich könnte Bücher schreiben darüber. Meine Jüngste saß ja auch noch mit im Auto. Sie hat mich nur entsetzt angeschaut und keinen Ton gesagt."
"Jetzt reg dich ab. Anfänger müssen halt erst mal Erfahrung sammeln."
"Erfahrung sammeln ist gut. Die Frage ist nur: auf wessen Kosten? Wären wir nicht im Transporter unterwegs gewesen, sondern mit nem normalen Auto .... ich weiß nicht, ob ich es geschafft hätte. Im Transporter sitze ich hoch und habe einen guten Überblick. Ich sehe so manches viel früher oder kann es ahnen. Im Kopf steht mein rechter Fuß bereits auf der Bremse."
"Du hast halt Erfahrung. War es nicht schon öfter brenzlig?"
"So nicht. Oder doch? Auch ich hatte meine Aha-Erlebnisse und musste lernen."
"Was?"
....
"Der Tod fährt immer mit. Manchmal entspannt auf dem Rücksitz. Manchmal grinsend auf dem Beifahrersitz."
"Hmm ....."
....
"Ok, Hartmut. Die Sonne scheint und jetzt gehen wir runter auf die Terrasse, freuen uns des Lebens und genießen unseren Kaffee."
"Guuute Idee, Helmut. Stoßen wir an?"
"Worauf?"
"Geburtstag?"
"OK. So kann man das sehen. Prost Hartmut."
"Prost Helmut."
__________________
Zeit zum Weinen, Zeit zum Lachen.
http://www.krebs-kompass.org/howthread.php?t=31376
http://www.krebs-kompass.de/showthread.php?t=48070

Die von mir im Krebs-Kompass verfassten Texte dürfen auf anderen Homepages und in anderen Foren ohne meine ausdrückliche Zustimmung weder verwendet noch veröffentlicht werden. Auch nicht auszugsweise.
Mit Zitat antworten
  #6  
Alt 04.04.2012, 20:34
sjarissa sjarissa ist offline
Registrierter Benutzer
 
Registriert seit: 23.06.2011
Ort: in der Peripherie von Antwerpen/Belgien
Beiträge: 129
Standard AW: Hinterblieben, nur wo?

Zu köstlich ihr Zwei, das zaubert mir ein breites Lächeln aufs Gesicht, und das will was heißen. Gerne mehr von euren gemeinsamen Erlebnissen.

Sjarissa
__________________
Der Tod ist der Grenzstein des Lebens, aber nicht der Liebe.

Guido * 25.12.1953 + 03.01.2012
Mit Zitat antworten
  #7  
Alt 04.04.2012, 23:24
Benutzerbild von Monika Anna
Monika Anna Monika Anna ist offline
Registrierter Benutzer
 
Registriert seit: 23.11.2008
Ort: Nürnberg
Beiträge: 47
Standard AW: Hinterblieben, nur wo?

Hallo Helmut,
nein nicht Herbert...(bekenne mich zu meinem Fehler)

wir haben uns vor ca. 3 jahren schon mal ausgetauscht über Demenz.
Gibt auch von meiner Seite keinen Grund das nicht öffentlich zu tun.

Ich denke auch, dass da noch viel Aufklärungsarbeit nötig ist.

Vielen Dank für deine Schilderung der momentanen Situation. Viele Momente erleb ich ganz ähnlich.

Aber ich glaube, wir sind schon in einem anderen Entwicklungsstadium angekommen.

Ich spreche über meine Oma. Sie hat vor 4 Jahren ihr einziges Kind verloren.

Momentan erkennt sie meine Schwester und mich. Sonst niemanden.
Sie ist in einem Heim für Demenzkranke.

Heute bin ich, wie fast jeden Tag,nach der Arbeit vorbeigegangen und habe sie schon von der Strasse aus schreien hören. Immer "hallo hallo". Manchmal wird sie auch aggressiv. Ich denke, das geschieht aus Angst.

Wenn sie mich dann sieht (sie erkennt mich sofort), dann geht es nur noch darum, dass sie heim will.
Welches "heim" kann ich oft nicht mehr erkennen. Sie erinnert sich sehr selten daran mal eine Familie gehabt zu haben, viel öfter spricht sie von ihrer Mutter (wäre 133 Jahre alt).

Mache an der Stelle mal ein Pause. Tut schon sehr weh. Damit meine ich das Unvermögen etwas zu Ändern.

Sei lieb gegrüßt,
ebenso alle anderen, die hier mitlesen.

Werde dieses Thema hier auch nicht weiter "breittreten", wollte nur meinen Beitrag verständlich werden lassen.

Liebe Grüße, frohe Ostern und allen die hier lesen viel Glück und viele Sonnenstrahlen.

Bis (hoffentlich bald)
Claudia

Übrigens "Aliens" sind wir auch. müssen wir ja auch sein.

Geändert von Monika Anna (09.04.2012 um 02:55 Uhr)
Mit Zitat antworten
  #8  
Alt 22.05.2012, 05:51
Benutzerbild von HelmutL
HelmutL HelmutL ist offline
Registrierter Benutzer
 
Registriert seit: 03.03.2007
Ort: Dreiländereck
Beiträge: 1.986
Lächeln AW: Hinterblieben, nur wo?

Hallo Miriam,

gaaanz sicher werde ich das tun. Das Blümchen wächst und gedeiht und ich werde alles dazu tun, dass das so bleibt.

Hallo Jutta,

nur ne Schreibpause. GsD ist das Leben manchmal so langweilig, dass es nichts aufregendes zu berichten gibt.


Doch. Es gibt etwas. Ich habe letztes WE etwas geschafft, wovon viele geplagte Mütter und Väter nicht wagen es in ihren kühnsten Träumen zu träumen. Ich konnte die Verantwortung für meine Jüngste einem anderen in die Schuhe schieben . Ich hoffe, er hat begriffen, was er sich da an Land gezogen hat. Wehe, wenn nicht. Mit Argusaugen werde ich ihn beobachten.

Der Samstag, ein Tag mit vielen wiederstrebenden Gefühlen. Die Trauung, nur standesamtlich ("Kirchlich ohne Mama??? .... das geht gar nicht" O-Ton meiner Tochter), ich möchte nicht wissen, was in so manchen Köpfen vor sich ging.

Mein Kopf, das totale Chaos. Da vorne eine glückliche, strahlende Braut, die ihr Temperament kaum zügeln konnte. Ein ebensolcher Bräutigam, der nur Augen für seine Braut hatte. Erinnerungen, Trauer, Angst, Glück ..... alles bricht unvermittelt über einem zusammen. Die Trauer, dass Myriam, die Mama ihre Tochter nicht umarmen kann, obwohl Beide es sich so gewünscht hätten. Die Trauer, die nie so ganz verstehen wird, was damals passierte. Ein beklemmender Moment, der die Luft zum Atmen abschnürt. Die verstehende Hand, die warm und fest in der meinen lag ... ich bin unendlich dankbar dafür.

Nach der Trauung im Park hinter der Stadtvilla ein Sektempfang. Ein Fotograf ist da (ein Kollege aus dem Fotoclub, Portraitfotograf) macht die Hochzeitsfotos direkt vor Ort. Das Wetter spielt zum Glück mit. Vielen Freunden der Brautleute begegne ich nach etlichen Jahren hier aufs Neue. Jetzt erwachsen, zum größten Teil haben sie bereits selber schon Kinder, krabbelten, hüpften, tanzten und spielten sie damals durch unser Haus. Auch sie werden sich daran erinnert haben: an die Mama, die Übungsleiterin, die tröstende, verständnisvolle Freundin. Es war schön, in ihre Augen zu schauen, mit ihnen zu reden, zu lachen und zu sehen: Leben ist Zukunft und Zukunft ist Leben.

Im Anschluss daran dann eine rauschende Hochzeitsfeier mit Tischrede (meine sonst große Klappe hatte ganz schön Schwierigkeiten ) einem Tanz mit der Braut (UFF! Überstanden ). Um 3 Uhr am Sonntagmorgen strichen wir Beide dann nicht als Letzte die Segel. Es reicht. So manche Junge lagen da schon in der Heia.

Gott schütze die Beiden.


Gute Nacht,

Helmut



....... irgendwie seltsam. Man macht sich darüber ja vorher kaum Gedanken. Die Kinder in andere Hände zu geben ist die eine Sache. Nur, man selber steht dann mit leeren Händen da. Jeglicher Einfluss auf und jede Verantwortung für ihr Leben wird plötzlich auf ein Minimum reduziert. Wenn nicht sogar ganz abgegeben. Wir dürfen als Mama oder Papa nur noch zuschauen und vielleicht mehr oder weniger daran teilhaben. Sie verabschieden sich aus dem Elterhaus. Ihre Wege sind nicht mehr die unseren.

........ was ist, wenn Papa (oder Mama) das Gleiche tut? Ist man verpflichtet, um der Kinder Willen, deren Nest zu bewahren? Zumal ein Nest mit vielen Löchern, tausendfach notdürftig repariert? Ein Nest, welches für sie immer noch schön ist. Die Realität ist anders.

Das Foto unten hab ich selbst geschossen. Ich durfte dem Fotografen über die Schulter schauen
Angehängte Grafiken
Dateityp: jpg IMG_0074 (Bearbeitet in GIMP Bildbearbeitung).JPG (78,4 KB, 216x aufgerufen)
__________________
Zeit zum Weinen, Zeit zum Lachen.
http://www.krebs-kompass.org/howthread.php?t=31376
http://www.krebs-kompass.de/showthread.php?t=48070

Die von mir im Krebs-Kompass verfassten Texte dürfen auf anderen Homepages und in anderen Foren ohne meine ausdrückliche Zustimmung weder verwendet noch veröffentlicht werden. Auch nicht auszugsweise.
Mit Zitat antworten
  #9  
Alt 22.05.2012, 08:16
Benutzerbild von Mirilena
Mirilena Mirilena ist offline
Registrierter Benutzer
 
Registriert seit: 11.05.2011
Ort: Schleswig-Holstein
Beiträge: 1.501
Standard AW: Hinterblieben, nur wo?

Lieber Helmut,

das ist ein wunderschönes Bild von deiner Tochter und ihrem Mann! Danke dafür! Schön zu lesen, dass es dir gut geht und dass ihr ein wunderbares Hochzeitsfest gefeiert habt! Ich kann so gut verstehen, dass eine Person euch besonders an diesem Tag fehlte... Wir haben Sonntag die Konfirmation meiner Tochter gefeiert und irgendwie war mir mulmig zumute. Alle Verwandten und Freunde waren eingeladen und alle sind gekommen. Nur einer fehlte, mein Papa! So habe ich also sein Foto mitgenommen und im Restaurant auf den Tisch gestellt, damit er irgendwie auch dabei war. Und ich habe ihm Grüße per Luftballon in den Himmel geschickt, wenn er schon nicht physisch anwesend bei uns auf der Erde sein konnte...

Ja, ein bißchen Wehmut ist wohl doch immer dabei, wenn ein so bedeutender Lebenseinschnitt statt findet. Nun ist eure Tochter endgültig flügge geworden. Aber das Nest, auch wenn es Löcher hat, würde ich ihr erhalten. Als Tochter kann ich nur sagen: Es ist immer noch schön, ein Zuhause zu haben! Auch wenn bei uns ebenfalls einer fehlt, dann finde ich ihn doch am ehesten bei meiner Mama. Und dieses Nest gibt auch im Erwachsenenalter immer noch ein Stück weit Geborgenheit und eine emotionale Sicherheit. Da muss ich mich nicht anstrengen und besonders "toll" sein, da weiß ich, dass ich geliebt werden, einfach, weil ich bin...

Liebe Grüße
Miriam
__________________
Mein Papa erhielt am 18.04.11 die Diagnose Lungenkrebs mit Knochenmetastasen und ging am 21.02.12 ins Licht. Alles vergeht, aber die Liebe bleibt...

Hand in Hand - gemeinsam sind wir stark!
Mit Zitat antworten
Antwort

Lesezeichen


Aktive Benutzer in diesem Thema: 1 (Registrierte Benutzer: 0, Gäste: 1)
 

Forumregeln
Es ist Ihnen nicht erlaubt, neue Themen zu verfassen.
Es ist Ihnen nicht erlaubt, auf Beiträge zu antworten.
Es ist Ihnen nicht erlaubt, Anhänge hochzuladen.
Es ist Ihnen nicht erlaubt, Ihre Beiträge zu bearbeiten.

BB-Code ist an.
Smileys sind an.
[IMG] Code ist an.
HTML-Code ist aus.

Gehe zu


Alle Zeitangaben in WEZ +2. Es ist jetzt 23:18 Uhr.


Für die Inhalte der einzelnen Beiträge ist der jeweilige Autor verantwortlich. Mit allgemeinen Fragen, Ergänzungen oder Kommentaren wenden Sie sich bitte an Marcus Oehlrich. Diese Informationen wurden sorgfältig ausgewählt und werden regelmäßig überarbeitet. Dennoch kann die Richtigkeit der Inhalte keine Gewähr übernommen werden. Insbesondere für Links (Verweise) auf andere Informationsangebote kann keine Haftung übernommen werden. Mit der Nutzung erkennen Sie unsere Nutzungsbedingungen an.
Powered by vBulletin® Version 3.8.7 (Deutsch)
Copyright ©2000 - 2025, vBulletin Solutions, Inc.
Gehostet bei der 1&1 Internet AG
Copyright © 1997-2025 Volker Karl Oehlrich-Gesellschaft e.V.
Impressum: Volker Karl Oehlrich-Gesellschaft e.V. · Eisenacher Str. 8 · 64560 Riedstadt / Vertretungsberechtigter Vorstand: Marcus Oehlrich / Datenschutzerklärung
Spendenkonto: Volker Karl Oehlrich-Gesellschaft e.V. · Volksbank Darmstadt Mainz eG · IBAN DE74 5519 0000 0172 5250 16 · BIC: MVBMDE55