Thema: Stammtisch
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Alt 28.04.2009, 08:48
Blue Blue ist offline
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Standard AW: Stammtisch

Hallo zusammen,

mmmh, vornehm geht die Welt zugrunde. Total unvernünftig habe ich mir ein wunderschönes Sofa gekauft – in meiner Arbeitslosigkeit. Hin und her gerechnet und es mir dann doch gegönnt, mit hüpfendem Herzen und einer großen Dosis Trotz. Und weil ich gerade dabei war, bekam das Wohnzimmer eine neue Farbe. Das Sofa kam letzte Woche, das „alte“ Sofa fand den Weg über den Balkon und das wollte ich mir nun wirklich nicht ansehen. Jetzt ist Helene, James und Pünktchen da, das Wohnzimmer sieht komplett anders aus. Bleibt nur noch mein Zufluchtszimmer, dann bin ich einmal durch, oder fange vielleicht wieder von vorne an. Aus dem Nest von Jürgen und mir wurde mein Nest. Zimmer für Zimmer. Die Welt dreht sich einfach weiter und mich hat das Leben wieder eingefangen.

Ja Annette, so fühle ich mich immer, wenn ich von der Autobahn runter komme. König der Autobahn. Mit einem kleinen Auto über die Straße düsen, schöne Musik dabei, Gummibärchen, Mineralwasser und Zigaretten – dann kann bei mir nichts mehr schief gehen. Die Freude anzukommen, die Freude lieb aufgenommen zu werden, die Freude auf ein paar schöne Tage.

Zeitreise, wie jedes Jahr. Pflegezeit, der letzte Weg, die viele Abschiede. Unverhofft bin ich nach 3 ½ Jahren über Jürgens Bruder gestolpert. Ich sah mir seine Hände an, die mal Jürgens Hände sehr ähnlich waren. Er hat sich verändert, die Hände haben sich verändert. Schwierig ins Gespräch zu kommen – und doch ist er noch immer der Selbe – oder doch nicht ganz. Mir kamen Worte in den Sinn - nur deshalb brachte ich den Mut auf ihn anzusprechen. Jürgen ist nicht mehr da, ich bin übrig geblieben – und ich bin sicher nicht ansteckend. Es muß verstörend auf ihn gewirkt haben und von ihm wird auch jetzt kein Piep mehr kommen.

Der Kreis schließt sich ganz langsam. Ich stöbere an manchen Tagen, möchte meine Gedanken nochmal lesen, wieder sortieren, neu verschnüren und weiter in meinem Herzen tragen. Der Mai noch und ein paar Tage im Juni. Dann der Tag X. Das letzte Wort, das letzte Lachen, der letzte Blick. Dann kommt der Tag der Diagnosestellung, die Op, Hochzeitstag, Geburtstag und und und – wie in jedem Jahr. Noch habe ich keine Ahnung wie ich es in diesem Jahr mache, sicher wird es mir mein Bauch einflüstern.

Ich habe umgeräumt, Schatzkisten gefüllt, gefühlt und gerochen – alles in meinem Tempo. Bleibt noch dieser Raum hier, mein Zufluchtszimmer. Heute aber nicht, nein, heute ist nicht der Tag dafür.

Ein Lied im Radio und ich werde auf Zeitreise geschickt, ein anderes Lied und ich bin wieder in der Gegenwart – seltsame Zufälle. Nicht verstörend, sondern ein Gruß von gestern fürs morgen. So fühlt es sich an.

Sandra laß Dir Zeit, es wird sich für alles eine Art und Weise finden. Mache es in Deinem Tempo und laß Dir da nicht reinreden. Alles ist erlaubt, Lachen und Weinen, alles zu gleichen Zeit.

Helmut, irgendwann werden Erinnerungen nicht mehr so sehr weh tun. Irgendwann schleicht sich ganz sachte ein Lächeln auf das Gesicht. Und ich hoffe noch immer auf die Zeit, wenn das Leben vor der Krankheit wieder zum Vorschein kommt, wenn die Erinnerung daran bei mir wieder da ist. Ist noch immer nicht passiert, an manchen Tagen macht mich das unendlich traurig.

Liebe Rowa, wie geht es Dir? Heute ist absolutes Sockenwetter, meine sind knallblau.

Liebe Anemone, auch ich bin täglich am Stammtisch. Gehört einfach zum Tag und von manchen Gewohnheiten rückt man nicht ab.

Irgendwo steckt die Sonne, sie ist da. Ich wünsche Euch allen schöne Momente.

Grüßle
Bruni
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