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#1
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AW: Kranke und Angehörige
Liebe Martina,
vielleicht ist es auch tatsächlich so, dass die, die es an der Seite eines Krebskranken erlebt haben zu leben, weniger Ängste haben, als jemand, der oder die es nicht erlebt haben? Die wissen zumindest, wie es ungefähr ist, wobei es ja viele Fazetten in der Krankheit gibt und nicht jeder Verlauf gleich ist... Vielleicht ist die Angst bei den "Unerfahrenen" größer. Wenn ich einen Mann kennenlernen würde, wüsste ich zumindest nicht, wann ich das mit der Krankheit erzähle. Eigentlich gehe ich sehr offen damit um. Aber ich glaube, wenn man sich nicht gut kennt, dann überfordert es das Gegenüber. Und wenn man es nicht erzählt, fühlt sich das Gegenüber vermutlich "über den Tisch gezogen". Es ist schwierig... Ich weiß übrigens gar nicht, ob ich bewußter lebe. Ich lebe schon relativ ähnlich wie früher, aber natürlich sind viele Gedanken über die Krankheit in meinem Kopf. lieben Gruß Mona |
#2
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AW: Kranke und Angehörige
Be mir ist es zwar nicht der Partner, sondern die Mutter, trotzdem einige Gedanken dazu ...
Meine Ma hatte das erste Mal Brustkrebs, da war sie juenger als ich heute, naemlich 31. Davor war sie ein lebensbejahender Mensch, hat auch den Krebs (trotz Brustamputation) gut ueberstanden, so man das denn ueberhaupt so nennen kann. Probleme traten eher durch eine schlechte Ehe auf. Mein Vater hatte waehrend dieser Zeit eine Affaere - nun mag man sagen, er war selbst hilflos oder was weiss ich. Ich kann ihm das allerdings bis heute nicht verzeihen. Obwohl ich damals erst im Grundschulalter war, ist meine Erinnerung an diese Zeit noch sehr praesent. Auch die v.a. psychischen Veraenderungen, die sich bei meiner Mutter entwickelten, sind mir sehr bewusst. Sie hat sich sehr veraendert, ist schon ewig depressiv und sehr ungluecklich, daran hat auch die Scheidung von meinem Vater nichts geaendert. Nun ist sie 58 und hat wieder Krebs, diesmal Eierstock FIGO IV, und so wie es aussieht, wird sie es dieses Mal nicht schaffen (obwohl die Hoffnung zuletzt stirbt). Krebs hat bislang mein ganzes Leben bestimmt, gsd nicht als Betroffene, aber als Angehoerige. Alle meine Grosseltern sind an Krebs verstorben, meine Ma hat es wie gesagt zweimal erwischt. Ich habe Angst, erblich vorbelastet zu sein, das bleibt nicht aus, besonders nicht, wenn die Mutter Brustkrebs in so einem jungen Alter hatte und jetzt noch das Ovarialkarzinom dazu kommt. Ich habe auch manchmal Wut, fuehle mich ueberfordert, weil ich weiss, dass ich ihr nicht helfen kann, und sie will das auch gar nicht, wollte sogar, dass ich nicht nach D komme, um sie zu besuchen. Ich lebe in Schottland, das erschwert die Situation total. Und dann hasst man sich dafuer, dass man an sich selbst denkt, ertappt sich dabei, dass man sich sagt: "Nein, Du musst Dich selbst jetzt zurueckstellen, Deine Probleme sind doch klein im Vergleich zu ihren." Sind sie auch, aber trotzdem ist es schwer und schmerzt ... Ich habe immer noch Angst, obwohl der Krebs mich mein Leben lang begleitet hat. Angst deswegen, weil ich des Unterschiedes gewahr bin. Der Brustkrebs war anders, da hatte sie noch Kraft, war jung, wollte leben - auch fuer mich. Dieses Mal ist es anders, das ist spuerbar. Und es faellt schwer, sie nicht als "die Kranke" zu sehen und immer noch das zu erkennen, was sie ist - meine Mutter. Das liegt aber sicherlich auch an dem Stadium, in dem der Krebs bei ihr ist. Trotzdem, auch wenn man sich ja seine Mutter, anders als einen Partner, nicht aussucht: Selbst in dieser schlimmen Situation gibt es Erfahrungen, die man nicht missen moechte. Vieles, was vorher so wichtig erschien, ist jetzt geradezu laecherlich. Vieles, worauf ich meiner Mutter gegenueber vielleicht mal sauer war, ist vergessen. Man wird weicher, nimmt sich selbst nicht mehr so wichtig. Auch die Beziehung zu meinem Vater, die nie gut war, ueberdenke ich jetzt. Auch, wenn es vielleicht noch etwas braucht und nicht einfach wird, aber die Situation mit meiner Mutter fuehrt mir ganz deutlich vor Augen, wie endlich das Leben ist, und dass es fuer viele Dinge keine zweite Chance gibt ... |
#3
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AW: Kranke und Angehörige
Hi,
Mona, ich meinte mit bewusster leben ja auch nicht, dass man das Leben grundsätzlich ändert. Warum sollte man/frau, ich/Du, wenn es doch gut so ist? Aber doch, sich der Endlichkeit bewusst sein, Gedanken an das Sterben bzw. das Danach haben, sich damit auseinanderzusetzten und eben genießen, was gut tut. Mir scheint schon, dass Du das tust. Na ja, das mit dem Genießen ist wohl im Alltag immer neu zu üben aber Du hast ja auch nicht, wie mein Mann, den Tod so unmittelbar vor Augen. Er lebte das letzte Jahr schon über die Prognose des ersten Arztes hinaus. Es gab so gesehen keinen Alltag mehr. Es war wie geschenkte Zeit. (Und es war auch so ein toller Spätsommer/Herbst. Das hat er oft so ausgedrückt: "Die haben mir einen tollen Herbst geschenkt.") Ich würde vermutlich beim ersten Flirt auch nicht von Krebs reden. Ja, ich hätte auch Angst zu überfordern. Aber ich würde auch nicht grundsätzlich davon ausgehen, dass er das nicht verkraften kann. Das wäre, wie die Schere im Kopf. Es wird sich dann sicher eine Gelegenheit ergeben, ganz natürlich und außerdem: Du bist ja nicht Deine Krankheit. Das ist nur ein Aspekt deines Lebens, etwas, was bei einer Partnerschaft besprochen gehört, aber in der Kennenlernphase gibt es so viel zu entdecken... Was wäre denn für dich das das Wichtigste und Vorrangigste, was ein anderer von Dir wissen muss? Liebe Grüße martina |
#4
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AW: Kranke und Angehörige
Hallo Martina
merkwürdigerweise hab ich auch vor Krebs schon sehr häufig über die Endlichkeit nachgedacht, mich damit auseinandergesetzt und auch da schon relativ bewusst gelebt. Vielleicht ist das Leben im Moment sogar eher unbewusster, weil Krebs viele "Störgedanken" erzeugt, die bewusstes Leben erschweren. Es ist auch richtig, dass ich den Tod nicht sehr nah vor Augen fühle. Ich hab nie von einem Arzt eine Prognose bekommen und auch nie danach gefragt. Aus methodischen Gründen. Weil ich denke, dass kein Mensch sowas für ein Individuum wirklich sagen kann. Die 5-Jahres-Überlebensrate, die man aber für mich so liest, find ich aber auch nicht wirklich berauschend. Aber es ist sicher besser, als "die Prognose bereits überlebt zu haben". Das mit der "geschenkten Zeit" kenne ich gut. Als ich meine Diagnose erfahren habe, waren frühe Gedanken: Okay, die Natur hätte mich 40 oder 41 werden lassen. Alles was jetzt kommt ist von "der Kultur" geschenkt. Von Ärzten, die mich operiert haben. Und vielleicht auch ein bisschen von dem was bei einer Chemo in Ansätzen doch funktioniert... Du fragst, was das Wichtigste wäre, was ein anderer von mir wissen müsste... Was mir wichtig ist, wie ich noch leben möchte (da spielt die Krankheit eine Rolle, weil sie die Möglichkeiten ggf. einschränken wird), die wichtigsten Erfahrungen in meinem Leben und was mich geprägt hat (da ist die Krankheit bei weitem nicht das wichtigste, aber eben auch eine Erfahrung). Ich würde da auch einen Unterschied machen, ob die Krankheit schon mehrere Jahre zurückliegt (dann wird es immer unwichtiger es zu erzählen) oder ob es noch frisch ist. Im Moment trage ich noch Perücke... viele Grüße Mona |
#5
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AW: Kranke und Angehörige
Hallo Mona
Zitat:
Gerade die besseren Ärzte, denen wir begegnet sind, würden nie eine wirkliche Prognose machen. Höchstens eine sehr vage und die noch unter Betonung, dass alles auch ganz anders sein kann. Das gilt auch für die fünf Jahre der Statistik. Zitat:
Würde er sich dann zurückziehen so wärst Du ent-täuscht aber eben auch ohne Täuschung. Nur jemanden, der verlässlich ist und was aushält, könntest Du ja an Deiner Seite gebrauchen- oder? Liebe Grüße martina |
#6
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AW: Kranke und Angehörige
Hallo Martina,
es hört sich auf den ersten Blick logisch an, was du schreibst mit der Verlässlichkeit. Ich finde aber, es ist nicht realitätsnah. Erstmal: Ich bin ein relativ offener Mensch und erzähle mir wichtige Dinge durchaus relativ früh. Normalerweise erzähle ich doch von den Dingen, die mir wichtig sind, damit sich jemand wirklich intensiver für mich interessiert . Krebs ist aber nun nichts, was einen wirklich interessant macht. Oder doch? Dann: Stell dir mal vor, du trägst Perücke... wie lange kannst du da warten, bis du jemandem, in den du verliebt bist, erzählst, warum. Mehrere Monate? Nein. De facto heisst das eher, die Zeit ist eher "Auszeit" oder du findest jemanden, der genau das mit der Krankheit spannend findet und sich deshalb in dich verliebt... Ob der dann aber wirklich gut zu mir passt? ´ Und das mit der Verlässlichkeit: Ich finde, Verlässlichkeit ist etwas, was sich in einer Partnerschaft eben erst entwickelt. Erst entscheidet man sich für jemanden (und das ist ein Prozess) und dann ist man für diesen Jemand verlässlich. Ich weiss nicht, welche Erfahrungen du selbst mit dem Thema gemacht hast... Warst du mal auf Partnersuche und dir hat jemand erzählt, dass er krank ist? Wenn ja, wie hast du reagiert? http://www.krebs-kompass.org/showpos...43&postcount=5 Geändert von gitti2002 (13.09.2015 um 00:26 Uhr) Grund: Link nachgereicht |
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