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  #1  
Alt 10.12.2007, 21:55
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Säugling in Stall gefunden - Polizei und Jugendamt ermitteln




Schreiner aus Nazareth und unmündige Mutter vorläufig festgenommen

BETHLEHEM, JUDÄA - In den frühen Morgenstunden wurden die Behörden von einem besorgten Bürger alarmiert. Er hatte eine junge Familie entdeckt, die in einem Stall haust. Bei Ankunft fanden die Beamten des Sozialdienstes, die durch Polizeibeamte unterstützt wurden, einen Säugling, der von seiner erst 14-jährigen Mutter, einer gewissen Maria H. aus Nazareth, in Stoffstreifen gewickelt in eine Futterkrippe gelegt worden war.
Bei der Festnahme von Mutter und Kind versuchte ein Mann, der später als Joseph H., ebenfalls aus Nazareth identifiziert wurde, die Sozialarbeiter abzuhalten. Joseph, unterstützt von anwesenden Hirten, sowie drei unidentifizierten Ausländern, wollte die Mitnahme des Kindes unterbinden, wurde aber von der Polizei daran gehindert.

Festgenommen wurden auch die drei Ausländer, die sich als "weise Männer"
eines östlichen Landes bezeichneten. Sowohl das Innenministerium als auch der Zoll sind auf der Suche nach Hinweisen über die Herkunft dieser drei Männer, die sich anscheinend illegal im Land aufhalten. Ein Sprecher der Polizei teilte mit, dass sie keinerlei Identifikation bei sich trugen, aber in Besitz von Gold, sowie einigen möglicherweise verbotenen Substanzen waren. Sie widersetzten sich der Festnahme und behaupteten, Gott habe ihn angetragen,sofort nach Hause zu gehen und jeden Kontakt mit offiziellen Stellen zu vermeiden. Die mitgeführten Chemikalien wurden zur weiteren Untersuchung in das Kriminallabor geschickt.
Der Aufenthaltsort des Säuglings wird bis auf weiteres nicht bekanntgegeben. Eine schnelle Klärung des ganzen Falls scheint sehr zweifelhaft. Auf Rückfragen teilte eine Mitarbeiterin des Sozialamts mit: "Der Vater ist mittleren Alters und die Mutter ist definitiv noch nicht volljährig. Wir prüfen gerade mit den Behörden in Nazareth, in welcher Beziehung die beiden zueinander stehen."
Maria ist im Kreiskrankenhaus in Bethlehem zu medizinischen und psychiatrischen Untersuchungen. Sie kann mit einer Anklage wegen Fahrlässigkeit rechnen. Ihr geistiger Zustand wird deshalb näher unter die Lupe genommen, weil sie behauptet,sie wäre noch Jungfrau und der Säugling stamme von Gott.
In einer offiziellen Mitteilung des Leiters der Psychiatrie steht: "Mir steht nicht zu, den Leuten zu sagen, was sie glauben sollen, aber wenn dieser Glaube dazu führt, dass - wie in diesem Fall - ein Neugeborenes gefährdet wird, muss man diese Leute als gefährlich einstufen. Die Tatsache, dass Drogen, die vermutlich von den anwesenden Ausländern verteilt wurden, vor Ort waren, trägt nicht dazu bei, Vertrauen zu erwecken. Ich bin mir jedoch sicher, dass alle Beteiligten mit der nötigen Behandlung in ein paar Jahren wieder normale Mitglieder unserer Gesellschaft werden können."
Zu guter Letzt erreicht uns noch diese Info: Die anwesenden Hirten behaupteten steif und fest, dass ein großer Mann in einem weißen Nachthemd mit Flügeln (!) auf dem Rücken ihnen befohlen hätte den Stall aufzusuchen und das Neugeborene zu seinem Geburtstag hoch leben zu lassen. Dazu meinte ein Sprecher der Drogenfahndung: "Das ist so ziemlich die dümmste Ausrede eines vollgekifften Junkies, die ich je gehört habe."
(gefunden in d.t.j. - Verfasser unbekannt)
(Falls es bis hierher jemand nicht gemerkt hat: Das ist eine Satire! )


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  #2  
Alt 11.12.2007, 01:16
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Die Verspätung des Nikolaus





Der große rote Nikolaus
sucht gar so gute Sachen aus.
Er geht zu jedem Haus
und bringt in Saus und Braus.


Den Sack zur Tür herein-
wo Kindelein klein
die beiden Äugelein
schon steckt ins Zimmer rein:


"Oh Nikolaus,
Du schaust gar grimmig drein,
was ist denn bloß im Sacke fein,
die Rute statt dem Zuckerhaus?


Was hab ich denn verbrochen,
ich hab Dir doch versprochen,
Dir auch Gedichterl aufzusagen,
ohne Stottern, ohne Zagen."


Der Nikolaus war doch nicht bös,
nur abgemüht und so nervös,
wei eben diesem guten Herrn
verloren ging sein Mandelkern.


Er war mit seinem Wunderschlitten
an Stadtens'Rande ausgeglitten
und mit härtester Gewalt
gegen einen Baum geprallt.


Des Sackes Netzwerk feingewebt
hatt' allerheftigst schon gebebt,
bis schließlich in den größten Wogen
die Äpfel, Nüss' auf Weg hinflogen.


Ein heft'ger Fluch wär über Lippen
des guten Nikolaus geglitten,
wenn ihm nicht plötzlich starr vor Schreck
die Luft in seiner Brust bleib weg.


Er sah den stark gefürchteten Ganoven,
vor dem es jeden Städter graust,
und der allein im Walde haust
mit einer Flinte vor sich tobend-

"Du kannst es doch nicht mehr verschenken,
niemand könnt' Dir gar verdenken,
wenn Du mir diese Sachen läßt,
in diesem gottverdammten Nest.


Der Niklaus schaute auf die Flinte,
was saß er drinnen in der Tinte,
jetzt muß das Fest des hei'gen Herrn
um viele Tag verschoben werden.

Und all die kleinen Kinderlein
jetzt ohne Freude müssen sein.
Und welche Schuld und Gram allein
wird auf dem Karren einzig sein.


Im Wald gab es ein Engelskind,
das lebte still in Einsamkeit
zum Schutz des bösen Ludermanns.
Es wollt, dass er auch Ruhe find
und nicht in scharzem Tod verschneit.


Er sah doch nie den Lichterschein,
der unweit von der Hütte wohnte-
auch wenn die Wärme war recht klein,
sie doch vor Tod und Kälte schonte.


Und eben dieses Lichterkind
kan durch die Kälte zu dem Wagen
und gab dem heil'gem Herrn geschwind
die neue Gab von Himmelsladen.


Entschuldigung und großer Segen
begleitet ihn auf seinen Wegen
durch die Welt zum Lichterschein -
Jetzt muß der Niklausabend später sein.



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  #3  
Alt 12.12.2007, 23:41
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Plätzchenduft im ganzen Haus




Wieder diese dunkle Jahreszeit. Wieder Dezember. Wieder diese langen Nächte und kurzen Tage. Und wieder die Familie, die quengelt, ich soll Plätzchen backen.
"Nein!" sage ich dieses Mal entschieden. "Ich backe in diesem Jahr keine Plätzchen. Mann und Sohn gucken mich an, als ob ich ihnen soeben mitgeteilt hätte, dass ich beabsichtige, nach Timbuktu auszuwandern. Alles, nur das nicht. Sie flehen. Sie nölen. Sie schimpfen. Und ich argumentiere damit, dass es keinen Spaß macht, viele Stunden in der Küche zuzubringen, nochmals Stunden mit deren Reinigung beschäftigt zu sein, die Produkte meiner Schweiß treibenden Arbeit sich noch am Backtag bis auf die Hälfte dezimieren zu sehen, um dann festzustellen, dass anschließend niemand mehr von den Keksen isst. Nicht nur nicht im Dezember, nein auch am Fest selbst wird alles Mögliche gegessen und genascht, nicht aber Mutters Kekse.
Ich schlug vor, in eine gute Konditorei zu gehen, und ein paar von diesen wunderbaren Keksen zu kaufen, die so schön aussehen, wie ich es niemals hinkriegen würde. Aber sie schüttelten beiden heftig die Köpfe und argumentierten: "Aber das riecht doch so schön im ganzen Haus." Okay, da hatten sie ja nun Recht. Trotzdem habe ich keine Lust, Kekse für den Mülleimer zu produzieren. Basta!
Im letzten Jahr hatte ich logisch überlegt und nur noch die Hälfte Kekse gebacken. In der Hoffnung, dass dann alle an einem Tag aufgegessen würden. Aber die Rechnung ging nicht auf. 1. hatte ich fast genau so viel Arbeit, weil es der verschmutzten Küche egal ist, ob zehn oder fünf Bleche gebacken wurden und 2. haben sie von der Hälfte eben wieder nur die Hälfte gegessen. Ob sie es unverschämt gefunden hätten, alles auf einmal zu essen, oder ob ausgerechnet im letzten November ihr Keksappetit nur halb so groß war, bleibt unbekannt. Mein Entschluss stand fester den je: In diesem Jahr keine Kekse.
Nun waren meine beiden Süßen nicht gewillt, auf selbst gebackene Weihnachtssüßigkeiten zu verzichten. Und weil Muttern dieses Mal nicht als Produzentin zur Verfügung stand passierte, was passieren musste. Die beiden wälzten Backbücher, kauften Frauenzeitschriften mit Plätzchenrezepten und bereiteten sich akribisch auf den großen Backtag vor. Wenn eine Frau kocht oder backt, geht sie in die Küche, schmeißt Ofen und Herd in Gang und legt los. Männer jedoch planen alles bis in die kleinste Kleinigkeit. Sie lasen die Rezepte, murmelten was von Kouvertüre, Petit Fours und viele andere leckere Ausdrücke. Ich schmunzelte, denn ich konnte mir nicht vorstellen, dass sie das hinkriegen würden. Meine Kekse, die ich immer genau nach Anweisung backte, sahen nie so umwerfend toll aus, wie sie in den Zeitschriften oder Backbüchern abgebildet waren. Aber die beiden hatten - so schien es - den Anspruch, es besser zu machen als ich.
Ich gebe zu, dass ich ein bisschen in meinem hausfraulichen Stolz gekränkt war. Und ein bisschen juckte es mich doch, ihnen zu zeigen, wer hier besser backen konnte. Doch ein Zurück gab es nun nicht mehr für mich. Zu viel hatte ich daran gesetzt, mein Ziel zu erreichen. Um nicht in irgendeine Versuchung zu kommen, in den nachmittäglichen Backvorgang einzugreifen, verzog ich mich für einige Stunden.
Ja, es stimmt, ich war sehr neugierig, als ich nach Hause kam. Was dort dekorativ in einer Schale angerichtet war, verschlug mir den Atem. Vanillekipferl mit Puderzucker, Zimtsterne mit rosa Verzierungen und vieles mehr. "Alle Achtung!" Das Kompliment meinte ich wirklich ernst.
Erst am Abend im Bett fiel mir auf, dass etwas gefehlt hatte. Der Duft. Genau! Der Plätzchenduft im ganzen Haus.

von R. Fehling
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  #4  
Alt 15.12.2007, 22:57
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Interview mit dem Weihnachtsmann



Von Erich Kästner


Es hatte schon wieder geklingelt. Das neuntemal im Verlauf der letzten Stunde! Heute hatten, so schien es, die Liebhaber von Klingelknöpfen Ausgang. Mürrisch rollte ich mich türwärts und öffnete.
Wer, glauben Sie, stand draußen? Sankt Nikolaus persönlich! In seiner bekannten historischen Ausrüstung. "Oh", sagte ich. "Der eilige Nikolaus!" - "Der heilige, wenn ich bitten darf. Mit h!" Es klang ein wenig pikiert. "Als Junge habe ich Sie immer den eiligen Nikolaus genannt. Ich fand's plausibler." - "Sie waren das?" - "Erinnern Sie sich denn noch daran?" - "Natürlich! Ein kleiner hübscher Bengel waren Sie damals!"
"Klein bin ich immer noch." - "Und nun wohnen Sie also hier." - "Ganz recht." Wir lächelten resigniert und dachten an vergangene Zeiten.
"Bleiben Sie noch ein bißchen!" bat ich. "Trinken Sie noch eine Tasse Kaffee mit mir!" Er tat mir, offen gestanden, leid.
Was soll ich Ihnen sagen? Er blieb. Er ließ sich herein. Erst putzte er sich am Türvorleger die Stiefel sauber, dann stellte er den Sack neben die Garderobe, hängte die Rute an einen der Haken, und schließlich trank der mit mir in der Wohnstube Kaffee.
"Zigarre gefällig?" - "Das schlag ich nicht ab." Ich holte die Kiste. Er bediente sich. Ich gab ihm Feuer. Dann zog er sich mit Hilfe des linken den rechten Stiefel aus und atmete erleichtert auf. "Es ist wegen der Plattfußeinlage. Sie drückt niederträchtig." - "Sie Ärmster! Bei Ihrem Beruf!" - "Es gibt weniger Arbeit als früher. Das kommt meinen Füßen zupaß. Die falschen Nikoläuse schießen wie die Pilze aus dem Boden."
"Eines Tages werden die Kinder glauben, daß es Sie, den echten, überhaupt nicht mehr gibt." - "Auch wahr! Die Kerls schädigen meinen Beruf! Die meisten von denen, die sich einen Pelz anziehen, einen Bart umhängen und mich kopieren, haben nicht das mindeste Talent! Es sind Stümper!" - "Weil wir gerade von Ihrem Beruf sprechen", sagte ich, "hätte ich eine Frage an Sie, die mich schon seit meiner Kindheit beschäftigt. Damals traute ich mich nicht. Heute schon eher. Denn ich bin Journalist geworden." - "Macht nichts", meinte er und goß sich Kaffee zu. "Was wollen Sie seit Ihrer Kindheit von mir wissen?" - "Also", begann ich zögernd, "bei Ihrem Beruf handelt es sich doch eigentlich um eine Art ambulanten Saisongewerbes, nicht? Im Dezember haben Sie eine Menge Arbeit. Es drängt sich alles auf ein paar Wochen zusammen. Man könnte von einem Stoßgeschäft reden. Und nun ..." - "Hm?" - "Und nun wüßte ich brennend gern, was Sie im übrigen Jahr tun!"
Der gute alte Nikolaus sah mich einigermaßen verdutzt an. Er machte fast den Eindruck, als habe ihm noch niemand die so naheliegende Frage gestellt. "Wenn Sie sich nicht darüber äußern wollen ..." - "Doch, doch", brummte er. "Warum denn nicht?" Er trank einen Schluck Kaffee und paffte einen Rauchring. "Der November ist natürlich mit der Materialbeschaffung mehr als ausgefüllt. In manchen Ländern gibt's plötzlich keine Schokolade. Niemand weiß wieso. Oder die Äpfel werden von den Bauern zurückgehalten. Und dann das Theater an den Zollgrenzen. Und die vielen Transportpapiere. Wenn das so weitergeht, muß ich nächstens den Oktober noch dazunehmen. Bis jetzt benutze ich den Oktober eigentlich dazu, mir in stiller Zurückgezogenheit den Bart wachsen zu lassen."
"Sie tragen den Bart nur im Winter?" - "Selbstverständlich. Ich kann doch nicht das ganze Jahr als Weihnachtsmann herumrennen. Dachten Sie, ich behielte auch den Pelz an? Und schleppte 365 Tage den Sack und die Rute durch die Gegend? Na also. - Im Januar mache ich dann die Bilanz. Es ist schrecklich. Weihnachten wird von Jahrhundert zu Jahrhundert teurer!" - "Versteht sich." - "Dann lese ich die Dezemberpost. Vor allem die Kinderbriefe. Es hält kolossal auf, ist aber nötig. Sonst verliert man den Kontakt mit der Kundschaft." - "Klar." - "Anfang Februar lasse ich mir den Bart abnehmen."
In diesem Moment läutete es wieder an der Flurtür. "Entschuldigen Sie mich, bitte?" Er nickte. Draußen vor der Tür stand ein Hausierer mit schreiend bunten Ansichtskarten und erzählte mir eine sehr lange und sehr traurige Geschichte, deren ersten Teil ich mir tapfer und mit zusammen-gebissenen Ohren anhörte. Dann gab ich ihm das Kleingeld, das ich lose bei mir trug, und wir wünschten einander auch weiterhin alles Gute. Obwohl ich mich standhaft weigerte, drängte er mir als Gegengeschenk ein halbes Dutzend der schrecklichen Karten auf. Er sei, sagte er, schließlich kein Bettler. Ich achtete seinen schönen Stolz und gab nach. Endlich ging er.
Als ich ins Wohnzimmer zurückkam, zog Nikolaus gerade ächzend den rechten Stiefel an. "Ich muß weiter", meinte er, "es hilft nichts. Was haben Sie denn da in der Hand?" - "Postkarten. Ein Hausierer zwang sie mir auf." - "Geben Sie her. Ich weiß Abnehmer. Besten Dank für Ihre Gastfreundschaft. Wenn ich nicht der Weihnachtsmann wäre, könnte ich Sie beneiden."
Wir gingen in den Flur, wo er seine Utensilien aufnahm. "Schade", sagte ich. "Sie sind mir noch einen Teil Ihres Jahreslaufs schuldig." Er zuckte die Achseln. "Viel ist im Grunde nicht zu erzählen. Im Februar kümmere ich mich um den Kinderfasching. Später ziehe ich auf Frühjahrsmärkten umher. Mit Luftballons und billigem mechanischen Spielzeug. Im Sommer bin ich Bademeister und gebe Schwimmunterricht. Manchmal verkaufe ich auch Eiswaffeln in den Straßen. Ja, und dann kommt schon wieder der Herbst - und nun muß ich wirklich gehen."
Wir schüttelten uns die Hand. Ich sah ihm vom Fenster aus nach. Er stapfte mit großen, hastigen Schritten durch den Schnee. An der Ecke Ungerstraße wartete ein Mann auf ihn. Er sah wie der Hausierer aus, wie der redselige mit den blöden Ansichtskarten. Sie bogen gemeinsam um die Ecke. Oder hatte ich mich getäuscht? Eine Viertelstunde danach klingelte es schon wieder. Diesmal erschien der Laufbursche des Delikatessengeschäftes Zimmermann Söhne. Ein angenehmer Besuch! Ich wollte bezahlen, fand aber die Brieftasche nicht gleich. "Das hat ja Zeit, Herr Doktor", meinte der Bote väterlich. "Ich möchte wetten, daß sie auf dem Schreibtisch gelegen hat!" sagte ich. "Nun gut, ich begleiche die Rechnung morgen. Aber warten Sie noch, ich bring' Ihnen eine gute Zigarre!" Die Kiste mit den Zigarren fand ich auch nicht gleich. Das heißt, später fand ich sie ebensowenig. Die Zigarren nicht. Die Brieftasche auch nicht. Das silberne Zigarettenetui war auch nicht zu finden. Und die Manschettenknöpfe mit den großen Mondsteinen und die Frackperlen waren weder an ihrem Platz noch sonstwo. Jedenfalls nicht in meiner Wohnung.
Ich konnte mir gar nicht erklären, wohin das alles geraten sein mochte. Es wurde trotzdem ein stiller hübscher Abend. Es klingelte niemand mehr. Wirklich, ein gelungener Abend. Nur irgend etwas fehlte mir. Aber was? Eine Zigarre? Natürlich! Glücklicherweise war das goldene Feuerzeug auch nicht mehr da. Denn das muß ich, obwohl ich ein ruhiger Mensch bin, bekennen: Feuer zu haben, aber nichts zum Rauchen im Haus, das könnte mir den ganzen Abend verderben!





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  #5  
Alt 17.12.2007, 22:59
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Das geflügelte Geschenk


Eine Weihnachtsgeschichte von Jan A. Loeffler


Früher war alles ein bißchen anders, auch Weihnachten. Mehr als 50 Jahre ist es her; damals als wir unsere Wünsche auf einen Wunschzettel schreiben durften.


«Liebes Christkind; ich fand kein
Spielzeug für 10 Franken das ich
mir wünschen würde, aber einen
Wunsch hätte ich schon. Könntest
Du mir eine Ente, eine weiße, zur
Weihnacht bringen?...»


Im Waisenhaus in Zürich schrieben viele Kinder jedes Jahr einen Wunschzettel: «An das Christkind - Himmel». Und wir wußten, daß unser Wunsch nur dann erfüllt würde, wenn das erhoffte Geschenk nicht mehr als 10 Schweizer Franken kostete. Was konnten wir nicht alles haben für 10 Franken! In den Katalogen der Spielzeuggeschäfte fanden wir vieles: «Nur 7,50 Franken ; nur 10 Franken» ; wir mußten sorgfältig aussuchen; da gab es so manches das nur 5 Franken kostete, und das wir eigentlich haben wollten, aber wir wollten die jährliche, einmalige Chance nicht einfach vertun. Es war nicht leicht, und einmal war es für mich unmöglich. Ich konnte mich nicht entschließen; nichts gefiel mir aus dem Katalog, nichts, was mit 10 Franken und darunter angeschrieben war. Und eigentlich wollte ich auch gar kein Spielzeug haben, ich wünschte mir eine Ente. Ja, eine richtige, lebendige Ente, genau gesagt, eine weiße Ente. Eine Ente die mir ganz allein gehören sollte.
Wir hatten im Waisenhaus Hühner, die uns die Eier lieferten. Wir hatten auch Enten. Enteneier soll man nur zum backen verwenden, sagte unsere Köchin. Wir hatten Hühner- und Enteneier, die ich jeden Tag einsammeln und in die Küche bringen mußte. Auch das Zählen und Wiegen der Eier war meine Aufgabe. Jeden Samstag musste ich das Hühnerhaus und die zwei Entenhäuschen säubern und natürlich auch Futter bringen. Es war ein begehrter Job im Waisenhaus, viel besser als Treppen reinigen oder Mühleimer leeren. Ich war Herr über Hühner und Enten; oder doch eher der Diener. Der «Herr» war nämlich Fräulein Lehmann, eine ältere Frau mit einem großen Kropf und immer frommen Worten, mit denen sie ihren Glauben an den lieben Gott bekannt gab. Sie gab auch bekannt, wenn die Hühner oder die Enten in die Küche gebracht werden mußten. Und wenn unser Gärtner, der Herr Stoll nicht da war, dann hackte das Fräulein Lehmann den Hühnern den Kopf ab; auch den Enten. Und alle, die Fräulein Anna, die Fräulein Ida und die anderen Frauen, die im Waisenhaus zu den Bediensteten gehörten, rupften «meinen» Hühnern und Enten die Federn aus; den Rest übernahm die Köchin. Gebratene Hühner oder Entenbraten, wer hätte da nicht gerne mit gegessen? Ich! Ich war krank; und entschuldigt, ich bekam in der Küche etwas anderes zu essen. Obwohl ich auch gerne Hühner aß, aber nur «fremde», nicht meine «eigenen». Ente liebte ich nicht so sehr; damals kannte ich «canard a l'orange» noch nicht.
Wenn ich eine eigene Ente hätte, so dachte ich, würde diese nie in die Küche müssen, dürfte ewig leben und schnattern und im kleinen Teich schwimmen und Eier legen; vielleicht sogar junge Entchen bekommen; die gehörten dann auch mir, oder? Soweit dachte ich damals nicht. Ich fragte mich nur, ob denn so eine Ente mehr als 10 Franken kosten würde. Niemand wußte es, keines der Kinder im Waisenhaus oder in der Schule wußte es. Und meinen «Chef», die Frau Lehmann, getraute ich mich nicht zu fragen. Ich stellte mir vor, was sie mir antworten würde: «Bete zum lieben Gott und sei schön brav und mache Deine Arbeit genau und richtig, vielleicht wird Dein Wunsch erhört und Du bekommst eine eigene Ente.» Das Erbitten einer Ente vom lieben Gott schien mir leicht zu sein. Aber ich wußte, daß das mit dem «brav sein» und «Arbeit gut und richtig machen» nicht so einfach war. Damit würde ich beim lieben Gott nichts erreichen, er wußte es sicher besser. Also ließ ich das Beten und schrieb: "Liebes Christkind; ich fand kein Spielzeug für 10 Franken das ich mir wünschen würde, aber einen Wunsch hätte ich schon. Könntest Du mir eine Ente, eine weiße, zur Weihnacht bringen? Ich weiß nicht, wieviel eine Ente kostet, und wenn es zuviel ist, dann bringe mir irgend etwas anderes, das nicht mehr als 10 Franken kostet, ich weiß nicht was. Danke und liebe Grüße. Hansli.» Der zusammengefaltete Wunschzettel kam in den kleinen Briefkasten in der großen Eingangshalle. Und dann kam das lange Warten. Bis am 24. Dezember, Heiligabend.
Der Speisesaal hatte eine Woche zuvor einen großen Tannenbaum erhalten, so groß, er reichte bis unter die Decke. Jetzt, am Heiligabend, brannten alle Kerzen, vielleicht über hundert, alle weiß. Silberne Kugeln glänzten, und silbernes Lametta schimmerte. Das war wie jedes Jahr; der Stall zu Bethlehem, mit dem Ochsen und dem Esel, mit der Krippe und der Maria und dem Josef und dem kleinen Jesuskind auf Marias Schoß. Ein bißchen Heu, ein bißchen Stroh und ein rotes Licht gab es im Stall, und auch Moos auf dem Dach. Jedes Jahr der gleiche Stall und jedes Jahr eine neue Freude, alle drängten sich vor der Krippe, ich auch. Und manche blickten verstohlen in das Halbdunkel des Speisesaals. Auf den Tischen waren nämlich all die Pakete und Päckchen verteilt, kaum zu sehen, weil weit weg vom Christbaum und dem Licht der Kerzen, geheimnisvoll. Aber alle mußten sich auf die Stühle setzen, die so angeordnet waren, daß der Stall zu Bethlehem von jedem zu sehen war. Und neben dem Stall setzte sich der Herr Meister hin; das war der höchste Chef im Waisenhaus, er las uns die Weihnachtsgeschichte vor. Jedes Jahr die gleiche, jedes Jahr mußten wir warten, bis der Herr Meister fertig gelesen hatte.
Dieses Jahr hörte ich nicht zu. Ich war enttäuscht. Wie hatte ich auch so blöd sein können und mir eine eigene, richtig lebendige Ente zu wünschen. So etwas konnte man doch nicht einpacken und als Paket auf die Tische stellen. Sicher war ein Paket für mich da, ganz sicher sogar, aber ganz sicher war da keine Ente drin. Von mir aus konnte die Geschichte so lange dauern, wie sie wollte. Ich war nicht interessiert am Ende, nicht neugierig darauf, was in meinem Paket war, es konnte nur eine Enttäuschung sein. Das wußte ich. Und der Herr Meister las und las und schnatterte... ja, da war ein Schnattern, ganz deutlich war es zu vernehmen. Alle schauten mich an, auch der Herr Meister. Alle lächelten und schauten mich an. Und wieder ein ganz kleines Schnattern. Mein Gott - ich würde eine eigene Ente bekommen. Ein Wunder. Und die Geschichte ging zu Ende, und das Licht wurde angezündet. Einige rannten zu den Tischen, einer rief: «Hansli, schau, schau hier, hier ist Deine Ente, hier, unter dem Tisch.» Unter dem Tisch, in einem großen geflochtenen Papierkorb war eine große, dicke, weiße Ente mit gelben Schnabel und blauen Augen. Meine Anita! So nannte ich sie, als ich sie sah, sofort. Weshalb Anita? Ich weiß es nicht; diese weiße, große Ente war für mich Anita. Und keines der Mädchen im Waisenhaus und niemand in der Schule hieß so. Anita.
Jetzt hatte ich meine eigene Ente; sogar zum Anfassen. Und Anita ließ es sich gefallen. Ich nahm sie aus dem Papierkorb, auf den Arm. Anita wehrte sich kaum; sie war schwer. Ich kam mit meinem Gesicht ganz nahe an ihren Kopf, sie zupfte mich sofort mit dem Schnabel an den Haaren, sie kniff mich ein bißchen ins Ohr. Hunger, ja Hunger mußte sie haben, meine arme Anita, und Durst. Im Papierkorb war zwar Heu, aber kein Wasser und keine Körner. Anita mußte zurück in den Papierkorb - ich holte ihr Wasser und Körner. Und sie «schaufelte» die Körner und schnäbelte im Wasser. Ich kannte doch die Enten, ich hatte Erfahrung mit ihnen. Wie viele Male hatte ich denn die Waisenhaus Enten gefüttert; jetzt fütterte ich Anita, meine eigene Ente. Natürlich mußte Anita bald ins Entenhaus zu den anderen Enten. Es war Nacht, Fräulein Lehmann kam mit mir, um zu helfen. Sie sagte: «Siehst du Hansli, dein Wunsch ging in Erfüllung. So ein schönes Weihnachtsgeschenk hast du bekommen. Jetzt wirst du dir sicher Mühe geben und versuchen, immer schön brav zu sein und deine Arbeit gut und richtig zu machen.» Ich habe es versucht, es gelang nicht immer. Aber ich hatte eine eigene Ente, die nicht in die Küche mußte. Wenigstens nicht solange ich im Waisenhaus war.
Drei Jahre später verließ ich das Waisenhaus. Anita blieb dort, bei den anderen Enten. Ich hatte andere Wünsche, von denen mancher in Erfüllung ging. Aber eine eigene, weiße, dicke Ente mit gelbem Schnabel und blauen Augen, so ein Geschenk gibt es nur einmal im Leben; es war ein Märchen - es war einmal!
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  #6  
Alt 18.12.2007, 23:57
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Der Weihnachtsmann in der Lumpenkiste



In meiner Heimat gehen zum Andreastage, dem 30. November, die Ruprechte von Haus zu Haus. Die Ruprechte, das sind die Burschen des Dorfes in Verkleidungen, wie sie die Bodenkammern und die Truhen der Altenteiler, der Großeltern hergeben. Die rüden Burschen haben bei diesem Rundgang durch das Dorf keineswegs den Ehrgeiz, friedfertige Weihnachtsmänner zu sein. Sie dringen in die Häuser wie eine Räuberhorde. Sie schlagen mit Birkenruten um sich, werfen Äpfel und Nüsse, auch Backobst ins Zimmer. Sie brummen wie alte Bären und wackeln mit den vermummten Köpfen. "Können die Kinder beten?" brummen sie. Die Kinder beten. Sie beten vor Angst kunterbunt: "Müde bin ich, geh' zur Ruh' … komm, Herr Jesus, sei unser Gast … der Mai ist gekommen…"
Wenn die Ruprechthorde die kleine Dorfschneiderstube meiner Mutter verlassen hatte, roch es darin noch lange nach stockigen Kleidungsstücken, nach Mottenpulver und reifen Äpfeln. Meine kleine Schwester und ich aber saßen unter dem großen Schneidertisch. Die Tischplatte schien uns ein besserer Schutz als unsere Gebetchen, und wir wagten lange nicht hervorzukommen, noch weniger das Dörrobst und die Nüsse, die die Ruprechte in die Stube geworfen hatten, anzurühren. Das hat denn auch meiner Mutter nicht gefallen, denn sie bestellte im nächsten Jahr die Ruprechte ab. Oh, was hatten wir für eine mächtige Mutter! Sie konnte die Ruprechte abbestellen und dafür das Christkind einladen.
Zu uns kam also jahrsdrauf das Christkind, um uns mit den üblichen Weihnachtsbringern zu versöhnen. Das Christkind trug ein weißes Tüllkleid und ging in Ermangelung von heiligweißen Strümpfen - es war im Ersten Weltkrieg - barfuss in geborgten Brautschuhen. Sein Gesicht war von einem großen Strohhut überschattet, dessen Krempe mit Wachswattekirschen garniert war. Vom Rande des Strohhutes fiel dem Christkind ein weißer Tüllschleier ins Gesicht. Das holde Himmelskind sprach mit piepsiger Stimme und streichelte und sogar mit seinen Brauthandschuhhänden. Als wir unsere Gebete abgerasselt hatten, wurden wir mit gelben Äpfeln beschenkt, die den Goldparmänenäpfeln, die wir als Wintervorrat auf dem Boden in einer Strohschütte liegen hatten, sehr glichen. Das sollen nun Himmelsäpfel sein? Wir bedankten uns trotzdem artig mit ‚Diener' und ‚Knicks', und das Christkind stakte auf seinen nackten Heiligenbeinen in den Brautstöckelschuhen davon.
"Habt ihr gesehen, wie's Christkind aussah?" fragte meine mit dem Christkind zufriedene Mutter.
"Ja", sagte ich, "wie Buliks Alma hinter einer Gardine sah's aus." Buliks Alma war die etwa vierzehnjährige Tochter aus dem Nachbarhause. An diesem Abend sprachen wir nicht mehr über das Christkind. Vielleicht kam die Mutter auch wirklich nicht ohne Weihnachtsmann aus, wenn sie sich tagsüber die nötige Ruhe in der Schneiderstube erhalten wollte. Jedenfalls sollte der Weihnachtsmann nach dem missglückten Christkind nunmehr eine Werkstatt über dem Bodenzimmer unter dem Dach eingerichtet haben. Das war freilich eine dunkle, geheimnisvolle Ecke des Häuschens, in der wir noch nie gewesen waren. Die Treppe führte nicht unter das Dach, und eine Leiter war nicht vorhanden. Die Mutter wusste so geheimnisvoll zu erzählen, wie sehr der Weihnachtsmann dort oben nachts, wenn wir schliefen, arbeitete, dass uns das Umhertollen und Plappern verging, weil der Weihnachtsmann sich bei Tage doch ausruhen und schlafen musste.
Eines Abends vor dem Schlafengehen hörten wir dann auch wirklich den Weihnachtsmann in seiner Werkstatt werken, und die Mutter war sicher an jenem Abend dankbar gegen den Wind, der ihr beim Märchenmachen behilflich war.
Soll der Weihnachtsmann Nacht für Nacht arbeiten, ohne zu essen? Diese Frage stellte ich hartnäckig.
"Wenn ihr artig seid, isst er vielleicht wahrhaftig einen Teller Mittagessen von euch", entschied die Mutter.
Also erhielt der Weihnachtsmann am nächsten Tage von meiner Schwester und mir einen Teller Mittagessen. Den Teller stellten wir nach Ratschlägen unserer Mutter an der Tür des Bodenstübchens ab. Ich gab meinen Patenlöffel dazu. Sollte der Weihnachtsmann vielleicht mit den Fingern essen?
Bald hörten wir unten in der Schneiderstube, wie der Löffel im Teller klirrte. Oh, was hätten wir dafür gegeben, den Weihnachtsmann essen sehen zu dürfen; allein die gute Mutter warnte uns, den alten, wunderlichen Mann ja nicht zu vergrämen, und wir gehorchten.
Versteht sich, dass der Weihnachtsmann nun täglich von uns verköstigt wurde. Wir wunderten uns, dass Teller und Löffel, wenn wir sie am späten Nachmittag vom Boden holten, blink und blank waren, als wären sie durch den Abwasch gegangen. Der Weihnachtsmann war demnach ein reinlicher Gesell, und wir bemühten uns, ihm nachzueifern. Wir schabten und kratzten nach den Mahlzeiten unsere Teller aus, und dennoch waren sie nicht so sauber wie der leere Teller des heiligen Mannes auf dem Dachboden. Nach dem Mittagessen hatte ich als Ältester, um meine Mutter in der nähfädelreichen Vorweihnachtszeit zu entlasten, das wenige Geschirr zu spülen, und meine Schwester trocknete es ab. Da der Weihnachtsmann nun sein Essgeschirr im blitzblanken Zustand zurücklieferte, versuchte ich ihm auch das Abwaschen unseres Mittagsgeschirrs zu übertragen. Es glückte. Ich ließ den Weihnachtsmann für mich arbeiten, und meine Schwester war auch nicht böse, wenn sie die leicht zerbrechlichen Teller nicht abzutrocknen brauchte. War es Forscherdrang, der mich zwackte, war es, um mich bei dem Alten auf dem Dachboden beliebt zu machen: Ich begann ihm außerdem auf eigene Faust meine Aufwartung zu machen. Bald wusste ich, was ein Weihnachtsmann gerne aß. Von einem Stück Frühstücksbrot, das ich ihm hingetragen hatte, aß er zum Beispiel nur die Margarine herunter. Der Großvater schenkte mir ein Zuckerstück, eine rare Sache in jener Zeit. Ich schenkte das Naschwerk dem Weihnachtsmann. Er verschmähte es. Oder mochte er es nur nicht, weil ich es schon angeknabbert hatte? Auch einen Apfel ließ er liegen, aber eine Maus aß er. Dabei hatte ich ihm die tote Maus nur in der Hoffnung hingelegt, er würde sie wieder lebendig machen; hatte er nicht im Vorjahr einen neuen Schwanz an mein Holzpferd wachsen lassen?
Soso, der Weihnachtsmann aß also Mäuse. Vielleicht würde er sich auch über Heringsköpfe freuen, die meine Mutter weggeworfen hatte. Ich legte drei Heringsköpfe vor die Tür der Bodenstube, und da mein Großvater zu Besuch war, hatte ich sogar den Mut, mich hinter der Lumpenkiste zu verstecken, um den Weihnachtsmann bei seiner Heringskopfmahlzeit zu belauschen. Ganz wohl war mir nicht dabei. Mein Herz pochte in den Ohren. Lange zu warten brauchte ich indes nicht, denn aus der Lumpenkiste sprang - "Murr! Miau!" - unsere schwarzbunte Katze, die dort den Tag im warmen Lumpengewölle verschlief. Eine Erschütterung ging durch mein kleines Herz. Ich schwieg jedoch über meine Entdeckung und ließ meine Schwester fortan den Teller Mittagbrot allein auf den Boden zu schaffen.
Bis zum Frühling bewahrte ich mein Geheimnis, aber als in der Lumpenkiste im Mai, da vor der Haustür der Birnbaum blühte, vier Kätzchen umherkrabbelten, teilte ich meiner Mutter dieses häusliche Ereignis mit: "Mutter, Mutter, der Weihnachtsmann hat Junge!"







Erwin Strittmatter
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  #7  
Alt 22.12.2007, 00:21
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Idee AW: ***weihnachtsgeschichten***

Der Weihnachtsbaum


Hans Christian Andersen (1805-1875)

Draußen im Wald stand ein niedlicher kleiner Tannenbaum. Er hatte einen guten Platz. Die Sonnenstrahlen liebkosten ihn, und der Wind strich durch seine Zweige. Im nächsten Jahr war der Baum schon um einen bedeutenden Ansatz größer und das Jahr darauf noch um einen.
"Ach, wenn ich doch so groß wie die anderen Bäume wäre", seufzte das Bäumchen, "dann könnte ich meine Zweige weit ausstrecken und mit meinem Wipfel in die weite Welt hinausblicken." Aber zwei Winter vergingen, und im dritten war das Bäumchen so groß, dass die Hasen darum herumlaufen mussten. "Nur wachsen, wachsen, groß und alt werden! Das ist doch das einzig Schöne auf der Welt!" dachte der Tännling bei sich. Im Spätherbst kamen Holzhauer in den Wald und fällten die größten Bäume wie in jedem Jahr. Ihre Äste wurden abgehauen, nackt, lang und schmal wurden sie auf ein Fuhrwerk gehoben und in die Welt hinausgeführt. Als mit dem Frühling Storch und Schwalbe wiederkehrten, fragte der Tannenbaum : "Wisst ihr, wohin die großen Stämme geführt werden?"
Der Storch nickte mit dem Kopf und sagte: "Viele neue Schiffe sind mir begegnet, als ich in Ägypten war, auf den Schiffen waren gewaltige Mastbäume, und ich vermute, das waren die Tannen aus diesem Wald." - "Ach, wäre ich doch auch schon so groß, um über das Meer fahren zu können!" - "Freu dich deiner Jugend!" sagten die Sonnenstrahlen, "freue dich deines fröhlichen Wachstums und des frischen Lebens in dir!"
Um die Weihnachtszeit wurden ganz junge Bäume gefällt. "Wohin sollen sie?" fragte der Tannenbaum. "Sie sind nicht größer als ich." - "Wir wissen es", piepsten die Spatzen, "sie werden mitten in der Stube aufgepflanzt und mit den herrlichsten Sachen, vergoldeten Äpfeln, Honigkuchen, Spielzeug und vielen bunten Lichtern geziert." - "Ob es wohl auch mir beschieden ist, diesen strahlenden Weg zu gehen?" fragte der Tannenbaum. "Das ist doch viel schöner als über das fremde Meer zu fahren."
"Freue dich unser", raunten die Luft und der Sonnenschein, "freue dich deiner frischen Jugend und deiner Freiheit." Aber der Tannenbaum freute sich gar nicht. Er wuchs und wuchs. Wieder kam Weihnachten und er wurde als erster gefällt. Ein großer Schmerz durchfuhr ihn, so dass er in Ohnmacht fiel. Er kam erst wieder zu sich, als er in einem Hof mit den anderen Bäumen abgeladen wurde und einen Mann sagen hörte: "Der ist prächtig! Den nehmen wir!" Zwei Diener kamen und trugen den Tannenbaum in einen großen herrlichen Saal. An den Wänden hingen prachtvolle Bilder, und neben dem großen Kachelofen standen kostbare chinesische Vasen mit Löwen auf den Deckeln. Da waren Schaukelstühle, seidene Ruhebetten, lange Tische mit Bilderbüchern. Der Tannenbaum wurde in ein mit Sand gefülltes Fass gestellt. Diener und Fräulein gingen umher und schmückten ihn mit kleinen Netzen aus buntem Papier, jedes gefüllt mit Zuckerwerk; vergoldete Nüsse und Äpfel hingen herab, und über hundert blaue, rote und weiße Kerzen wurden auf die Zweige gesteckt. Kleine Puppen schwebten im Grünen, und hoch oben auf der Spitze glänzte ein Stern aus Flittergold. Es war ganz unvergleichlich prächtig!
Oh, dachte der Baum, wäre es doch schon Abend, und was dann wohl geschehen würde! Am Abend wurden die Lichter angezündet. Oh, welcher Glanz! Welche Pracht! Plötzlich öffneten sich die großen Flügeltüren weit, und viele Kinder stürzten herein, die Kleinen standen ganz stumm, aber nur einen Augenblick, dann jubelten und schrieen sie, dass es nur so schallte. Sie tanzten um den Baum herum und nahmen ein Geschenk nach dem anderen von den Zweigen.
Was machen sie, dachte der Baum, was soll das? Und die Lichter brannten herunter bis auf die Zweige und wurden dann ausgelöscht. Und die Kinder durften den Baum plündern, dass es in allen Zweigen knackte. Niemand sah mehr auf den Baum. "Eine Geschichte, bitte eine Geschichte!" riefen die Kinder und zerrten einen kleinen Mann zum Baum, und er setzte sich unter die Zweige. "Denn so sitzen wir im Grünen", sagte er, "wollt ihr die von Ivede-Avede oder die von Klumpe-Dumpe hören?"
"lvede-Avede!" schrieen die einen, "Klumpe-Dumpe!" verlangten die andern. Und der Mann erzählte von Klumpe-Dumpe, der die Treppe hinunterfiel und doch erhöht wurde und die Prinzessin erhielt. Der Tannenbaum stand ganz still und in tiefe Gedanken versunken. Niemals hatten die Waldvögel solche Geschichten gewusst. Klumpe-Dumpe fiel die Treppe hinunter und bekam doch die Prinzessin zur Frau. Ja, ja, so geht es auf dieser Welt zu. Und er freute sich schon, am nächsten Morgen wieder mit Lichtern und Spielzeug geputzt zu werden. Am Morgen kamen der Knecht und die Magd herein. Doch sie schleppten ihn aus dem Saal hinaus auf den Boden. Dort stellten sie ihn in einen dunklen Winkel. Was soll das bedeuten, grübelte der Baum, was soll ich hier machen? Jetzt ist draußen Winter, deshalb können mich die Menschen nicht einpflanzen, darum soll ich wohl bis zum Frühjahr hier in sicherer Obhut stehen.
"Piep, piep", machte da eine kleine Maus und huschte hervor. Hinter ihr kam noch eine zweite. "Woher kommst du?" fragten die Mäuse. "Und was weißt du?" Sie waren schrecklich neugierig. "Erzähl uns doch von den schönsten Orten der Erde. Bist du dort gewesen? Bist du in der Speisekammer gewesen, wo der Käse auf den Brettern liegt und die Schinken unter der Decke hängen?" - "Nein, den Ort kenne ich nicht", antwortete der Tannenbaum, "aber ich kenne den Wald, wo die Sonne scheint und die Vögel singen." Er erzählte nun alles aus seiner Kindheit.
"Wie viel du gesehen hast, wie glücklich du gewesen bist!" sagten die kleinen Mäuse.
Dann berichtete er vom Weihnachtsabend, als er mit Kuchen und Lichtern geschmückt worden war. "Wie schön du erzählst!" sagten die Mäuschen, und am nächsten Abend kamen sie mit vier anderen Mäuschen, damit auch sie den Baum erzählen hören sollten. Und am Sonntag erschienen sogar zwei Ratten; diese aber sagten, die Geschichte sei gar nicht hübsch, und das betrübte die Mäuschen, denn nun hielten sie auch weniger davon.
"Das ist ja eine höchst jämmerliche Geschichte", sagten die Ratten. "Kennst du keine von Talglicht und Speck? Keine Speisekammergeschichte?" - "Nein", sagte der Baum. "Dann danken wir dafür!" erwiderten die Ratten und gingen heim zu ihren Familien. Zuletzt blieben auch die Mäuse fort. Da wurde der Baum sehr traurig.
Und eines Tages kamen Leute auf den Speicher, und ein Diener trug den alten Tannenbaum auf den Hof. "Nun werde ich leben", jubelte der Baum und breitete seine Zweige aus. Aber die waren alle vertrocknet und gelb. Nur der Stern aus Goldpapier saß noch oben an der Spitze und glänzte im hellen Sonnenschein. Die Kinder, die am Weihnachtsabend den Baum umtanzt hatten, kamen herbei und riefen: "Seht, was da noch an dem hässlichen alten Tannenbaum sitzt!" Und sie traten auf die Zweige, dass es krachte und knickte.
Und der Baum sah auf all die Blumenpracht und die leuchtende Schönheit im Garten. "Vorbei, vorbei!", seufzte er. "Hätte ich mich doch gefreut, als ich es noch konnte! Vorbei! Vorbei!"
Der Hausknecht kam und hieb den Baum in kleine Stücke. Ein ganzes Bündel lag da und flackerte hell auf unter dem großen Braukessel. Das Holz knisterte, und es schien, als seufze der Baum, und er dachte noch mal an einen Sommertag im Wald oder an eine Winternacht da draußen, wenn die Sterne funkelten. Er dachte an den Weihnachtsabend und an Klumpe-Dumpe, das einzige Märchen, das er gehört hatte und zu erzählen verstand. Und dann war der Tannenbaum verbrannt.
Die Knaben spielten im Garten, und der kleinste trug den Goldstern, der den Baum an seinem glücklichsten Abend geschmückt hatte, auf seiner Brust. Nun war die Weihnachtszeit vorbei, und mit dem Tannenbaum war es vorbei und mit der Geschichte auch; vorbei, vorbei, und so geht es mit allen Geschichten!


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