Mein kleiner Bruder Alexander

[Ute K.]

Alexander,
heute beginnt die EM und ich muss an die Zeit vor 2 Jahren denken, als wir zusammen die Spiele bei der WM geschaut haben.In dieser Zeit ging es Dir " relativ" gut. Nur beim Endspiel lagst Du mal wieder im Krhs., aber danach hattest Du doch ziemlich gute Wochen und wir konnten sogar nach Irland! Unvorstellbar, wie sehr sich Dein Befinden von Tag zu Tag änderte.Rauf und runter. Weisst Du noch meine selbstgemachte Pizza beim ersten Deutschlandspiel, ich war so stolz und Du hattest wieder was dran auszusetzen... wie schön wäre es jetzt, Du würdest nochmal meckern. Aber war Dir ja nie böse, war einfach froh, dass Du da warst. Heute war ich shoppen und hab richtig viel Geld ausgegeben, musste aber sein. An Dich habe ich auch gedacht und habe eine Laterne gekauft, hast Du sie gesehen? Freust Du Dich über die schönen neuen Blumen in gelb, rot und weiss? Ich finde jedenfalls, es sieht toll aus.Einen neuen Nachbarn hast Du ja auch bekommen, dann liegst Du nicht mehr so alleine. Wird langsam voll dort.
Und was schönes kann ich Dir auch berichten: die Augenklinik hat geschrieben und sich für die Hornhautspende bedankt, damit konnten zwei Menschen erfolgreich transplantiert werden! Ich weiss, es war in Deinem Sinn und wie Du mal bedauert hast, dass Deine Organe nichtmal fürs Spenden gebraucht werden könnten. Siehst Du...
Vielleicht bekommst Du eh alles mit. Alexander, lass es Dir gutgehn wo immer Du bist, das ist mein grösster Wunsch! Deine grosse Schwester

[Ute K.]

Alexander,
jetzt ist schon wieder was passiert... Mom hat die Schulter gebrochen! Gestern war ich mit ihr in der Notaufnahme, ausgerechnet in dem Zimmer, wo ich mit Dir Anfang März 6 Std. gesessen habe... hört das nie auf? Morgen wird sie operiert und ich fahre wieder jeden Tag ins Krhs. Aber trotz allem ist es für uns nicht so ein Weltuntergang, denn das, was Du durchgemacht hast, war doch viel schlimmer. Eine Schulter kann man heilen, aber ein Tumor ist oft hinterhältig und unberechenbar... Alles kommt wieder hoch, wenn ich ins Krhs. gehe, doch im Moment überwiegt wieder das Gefühl der Erleichterung darüber, das Du nicht mehr leiden musst und es Dir besser geht. Das tut es doch, oder? Vermisse Dich so.
Vielleicht kannst Du morgen auf sie aufpassen, das wäre schön. Ach Junge...Was für eine besch... Zeit. Hattest Du auch schonmal festgestellt...
Hab Dich lieb
Deine Sista

[Ute K.]

Alexander,
Mom geht es wieder besser und die OP ist gut verlaufen, ein Glück. Alles andere hätte ich jetzt nicht verkraftet. Heute war ich ja nur kurz bei Dir, aber morgen komme ich länger und bringe auch neue Lichter mit. Hast Du übrigens den Ärger mit Deinem Telefon- und Internet-Anbieter mitbekommen? Die haben es bis heute nicht geschafft, Dich abzumelden. Schön, wenn man immer noch Post für Dich bekommt... Dabei war ich schon Anfang April mit Deiner Sterbeurkunde ( welch schreckliches Wort ) dort und alles wurde gefaxt u.s.w. Ich war in dem Laden, wo wir auch schonmal zusammen für mich waren, da hattest Du Urlaub und kamst gerade aus Irland und warst gesund. War ein besch... Gefühl für mich. Und letzte Woche war ich wieder mit der Mahnung dort und hab den Typen ganz schön rund gemacht, Du weisst, wenn ich böse bin... Hat trotzdem nicht viel genutzt. Aber jetzt unternehme ich nichts mehr, es ist doch einfach nicht zu glauben.
Heute ist so ein Tag, wo ich denke, man, jetzt muss er aber bald mal wiederkommen... Hab das Gefühl, Du bist in Reha oder sonstwo. Na ja, sonstwo bist Du, aber kommen wirst Du nicht... Auf der Arbeit wünschte ich mir bei fast jedem Anruf, ich würde Deine Nummer auf dem Display sehen.
ich habe Angst, wenn ich höre oder lese, dass es manchen noch nach Monaten oder sogar Jahren so geht. Hm, sind halt die Gedanken und Gefühle der Menschen, die noch hierbleiben dürfen. Ob Du das verstehst?
Ich hoffe aber, dass Du spürst, wie sehr Du uns fehlst und das ist doch nicht negativ, zeigt es doch, welche Spuren Du in Deinem irdischen Leben hinterlassen hast... Junge, bis bald Deine Ute

[Ute K.]

Alexander,
morgen kommt Mom endlich aus dem Krankenhaus, welch ein Glück. Ich habs bald nicht mehr über mich gebracht, immer wieder dorthin zu gehen, Du weisst schon.... Aber auch bei ihr kamen natürlich alle Erinnerungen nochmal so heftig hoch, ganz besonders, als sie einmal nach unten zum Röntgen musste, wo wir doch so oft mit Dir waren und uns die Beine vor Angst geschlottert haben. Wir müssen Abstand bekommen, sonst geht es nicht weiter. Die letzten Tage versuche ich krampfhaft, mir die Zeit vor Deiner Erkrankung vorzustellen. Manches fällt mir ein und ich würde fast alles dafür geben, es wäre nochmal so. Was schäme ich mich, wo ich doch damals manchmal dachte, ich hätte Probleme...( oder Du? ). Wie nichtig und klein sind die aus heutiger Sicht. Aber das ist eines der guten Seiten, man bekommt eine andere Sichtweise und eine andere Wertschätzung für die Dinge des Lebens.
Die letzten Tage konnte ich sogar wieder Scherze machen, nur wenn ich Dich besuche, lasse ich meinen Gefühlen freien Lauf und das ist die Zeit, die wir beide ganz bewusst füreinander haben. Das brauche ich. Heute abend höre ich seit langem mal wieder U2, war ja nie so ganz Dein Ding, aber mein Herz geht dabei immer auf, liebe die halt, aber Dich noch millionenmal mehr. Mein Bruder
Vermisse Dich.
Bin heute abend so sentimental, das hast Du immer gehasst... sorry
Deine sista ( und jetzt vorm schlafen höre ich nochmal ganz laut where the streets have no name...)

[Ute K.]

Alexander,
bin eben nach Hause gekommen und denke wieder an Dich.... Jetzt, wo alles still ist, muss ich soviel an Dich denken, ach sch... Du fehlst mir so. Werde ich Dich wirklich niemehr wiedersehen? Du warst doch eben noch da! ich sehe Dich noch in Deinem Schlafanzug und Deinen heissgeliebten Kakao hier bei mir trinken... Ist alles so schwer


Je schöner und voller die Erinnerung, desto schwerer die Trennung. Aber die Dankbarkeit verwandelt die Qual der Erinnerung in eine stille Freude. Man trägt das vergangene Schöne nicht wie einen Stachel, sondern wie ein kostbares Geschenk in sich. Man muss sich hüten, in den Erinnerungen zu wühlen, sich ihnen auszuliefern, wie man auch ein kostbares Geschenk nicht immerfort betrachtet, sondern nur zu besonderen Stunden, und es sonst nur wie einen verborgenen Schatz, dessen man sich gewiss ist, besitzt; dann geht eine dauernde Freude und Kraft von dem Vergangenen aus.

Dietrich Bonhoeffer

Hoffentlich schaffe ich das auch
Deine Ute

[Celestina]

Liebe Ute,
ich weiss genau wie du dich fühlst!mein kleiner bruder Sascha(4) hatte gestern am 18.7.08 seinen 9.Todestag!!!man sagt die zeit halt alle wunden,davon merke ich bis heute noch nichts.Es ist immer noch so schlimm wie am 1.tag für mich.Wir haben lange gekämpft,gehofft und zum schluss doch verloren.
Ich versuche mir immer einzureden ,dass es für ihn im entefekt das beste war.er war schon durch den krebs und gelähmt.zum schluss lag er sogar im Koma.Aber irgendwie muss es immer weiter gehen,auch wenn es sehr weh tut,und schwer fällt.Ich wünsche dir und deiner Familie alles,alles gute und hoffe,dass es euch bald besser geht.Ganz viele liebe grüße,Celestina

[Ute K.]

Hallo Celestina,

vielen Dank für Deine Worte und Wünsche. Ich habe Deine Geschichte gelesen und konnte die Liebe, die Du für Deinen Bruder hast, spüren. Musste fast wieder weinen. Vor allem die schlimmen Bilder und das Leiden tun neben dem eigentlichen Verlust so weh. Es tut mir sehr leid. Aber wie Du sagst, wir müssen kämpfen... Sei ganz lieb umärmelt
Ute