Stammtisch

[AndreaS]

Hallo liebe Anemone,

wie gut kann ich dich verstehen: Bloß endlich mal wieder vergessen, so tun, als ob es das alles nicht gibt. Augen zu und alles ist gut. Aber es funktioniert leider nicht allzu lange. Wenn es mir mal wieder gelingt, unsere schreckliche Zeit in die Schublade zurück zu legen, versuche das Jetzt und Heute zu genießen, kommt eine Nachricht, die mir den Boden unter den Füßen wegzieht. Nicht alleine die Arbeit im Hospiz, da gelingt es meistens ganz gut, die Wand zwischen mir hochzuziehen, und doch, klar auch hier...

Ein Freund von uns hatte einen sehr sehr bösen Herzinfarkt, einige Wochen Koma und nun die bange Frage, ob der Kopf "etwas abbekommen" hat. Und über das "normale" Mitgefühl, das wohl jeder Mensch in solch einem Augenblick empfindet, ist bei mir/dir/uns nach allem was hinter uns liegt, das wirkliche Fühlen, das sich erinnern. Alles ist da und tagtäglich denke ich nicht nur an ihn, hoffe nicht nur für ihn, sondern bin mit meinen Gedanken bei seiner Frau, bin auf Zeitreise: Das Hoffen, das entseztliche Warten, die Verzweiflung und das einfach nur Aushalten müssen....

Ja Anemone, ich weiß, wie es dir jetzt geht, zurückgebeamt in die bangen Stunden, in die Hilflosigkeit damals und heute wieder.

Und dabei wollte ich nie wieder so viel empfinden, dachte nach Claus Tod kann mich nie wieder irgendwas beeindrucken. Aber das geht nicht. Es wird immer und immer wieder passieren.

Nein, wir können den Tod nicht ausschalten, den Schmerz und den Kummer nicht ignorieren, er wird uns immer wieder einholen, so oder so. Aber hin und wieder eine Auszeit nehmen, so tun, als beträfe uns das alles nicht (mehr), um dann doch wieder an den Stammtisch zurückzukehren....

Ich wünsche uns allen weiterhin die Kraft, die wir noch immer tagtäglich brauchen.

Lasst euch nicht ärgern, von niemanden!

LG
Andrea

[Anemone]

Danke, Andrea, für Deine lieben Worte. Wie ich sehe, schaust Du auch immer mal wieder hier rein.
Dir und allen anderen wünsche ich einen hellen Tag drinnen in der Seele und draußen (die Sonne meint es ja heute sehr gut).
Liebe Grüße,
Anemone

[rowa]

Hallo Leute,

habe mich schon lange nicht mehr gemeldet. Ja, das stimmt.
Mit geht es nicht gut. Am 5.9. wurde bei mir BK festgestellt, der Verdacht hatte sich am 12.9. dann auch bestätigt, lt. Befund der Gewebeprobe. Mir wurde gesagt, dass das alles vom Negativstress kommt bzw. begünstigt wird, von dem, was ich bisher erlebt und durchlebt habe. Ich habe solche Angst. Alles kommt wieder hoch, die Angst, die Verzweifelung. Nun wirft es mich zurück, total zurück. Es werden etliche Untersuchungen durchgeführt, bevor man mit der Behandlung beginnen möchte. Am verg. Freitag war CT mit Kontrastmittel von 80ml, das in die Vene gehen sollte, bei mir lief die Brühe aber ins Gewebe, was höllisch gebrannt hat und das einzige was die sagten war, das kann schon mal vorkommen, ich solle den Arm schön kühlen. Mein Arm hatte die doppelte Dicke als der andere, total angeschwollen, von der Schulter bis Handgelenk, anwinkeln unmöglich. Nun geht es so langsam zurück, Hura. Morgen ist eine weitere Untersuchung der Knochen angesagt, natürlich mit Kontrastmittel. Die Ärtze empfehlen mir mit der Chemo anzufangen, statt OP, weil der Tumor 4cm groß und meine Brust zu klein ist, es würde eine Total-OP werden und mit der Chemo ist die Chance gegeben, dass der Tumor schrumpft und dann eine Brusterhaltende OP möglich wäre. Ich muß mich bis spät. Dienstag entscheiden. Als wenn man das auf die Schnelle entscheiden kann. Mich schafft das mächtig, weiß kaum noch was ich denken soll, soll das nun abwiegen, so oder so. Was mache ich nun? Aber ich gebe nicht auf, andere haben das auch geschafft, dann schaffe ich das auch. Mein Ecki hätte das nicht gewollt, wenn ich mich fallen und hängen lasse. Aber manchmal kommt mir schon der Gedanke, ob er mich zu sich holen möchte?

Nun habe ich Euch mit meinem Scheiß... belöffelt. Tut mir leid.
Ich grüße Euch alle, ich melde mich wieder.
Rowa

[Anemone]

Oh, liebe Rowa, das tut mir so Leid! Ich weiß gar nicht, was ich sagen soll. Das mit dem "Negativstress" kann schon stimmen. Einer lieben Bekannten aus meinem Trauergesprächskreis geschah genau das selbe. Sie erkrankte ca. ein Jahr nach dem Tod ihres Mannes an BK. Das ist jetzt knapp zwei Jahre her, und es geht ihr wieder prima.
Ich wünsche Dir alles Glück der Welt und drücke Dir sämtliche Daumen, und hoffe ganz fest mit Dir, dass alles gut wird.
Natürlich darfst Du uns hier jederzeit mit Deinem Sch... belöffeln. Vielleicht hilft es Dir in Deiner Verzweiflung, wenn Du Dir die Angst ein wenig von der Seele schreiben kannst.
Fühl Dich ganz feste gedrückt von mir.
Liebe Grüße, besonders an Dich
und auch die anderen Mädels,
Anemone

[AndreaS]

Liebe Rowa,

wo, wenn nicht hier kannst du erzählen? Mach dir da bitte keine Gedanken, schließlich sind wir schon eine zeitlang eine Gemeinschaft, die sich versucht in ihrem Schmerz, in ihren Sorgen, Kummer u.s.w. aufzufangen.

Derartige Entscheidungen zu treffen, und das auf die Schnelle, mein Gott, was mag nun in dir vorgehen. Es klingt vernünftig, zuerst die Chemo zu machen, so wie du es beschreibst. Aber raten kann dir da leider wohl niemand.

In Gedanken sind wir bei dir, auch wenn es nicht viel nutzt, Kraftpakete kann man nicht wirklich durch die Leitung schicken. Wann immer es dir guttut, komm an unseren Stammtisch, schreib deine Angst, Trauer und Wut runter. Einer von uns wird da sein.

LG
Andrea, verammter Mist!!!!!!!!!!!!!!!

[Geli55]

Hallo liebe Rowa,
mit Tränen in den Augen habe ich Deine Zeilen eben gelesen.
Erinnert es mich doch sofort an meine Freundin, ihr BK wurde ja auch erst vor Kurzem festgestellt und ihr Mann liegt im Sterben.
Schreib Dir hier alles von der Seele !
Es wird immer jemand am Stammtisch sitzen der Dir zuhört und antwortet, Dich auch versucht zu trösten.
Ich kann Deine Verzweiflung gut verstehen.
Es ist verdammt schwer in dieser kurzen Zeit zu entscheiden was richtig ist, wobei man ja sowieso nicht weiss was richtig ist!
Ich war bei jedem Arztbesuch meiner Freundin dabei, in der Uni in Köln,aber raten konnte ich ihr auch nichts. Wir haben dann einfach die Ärztin dort gefragt was sie an ihrer Stelle getan hätte. Der Tumor war bei ihr 2,6 cm, aber es gab noch eine veränderte Vorstufe an anderer Stelle und die Ärztin sagte klipp und klar sie würde die Brust abnehmen lassen. Sie sagte zu ihr:
Ohne Brust kann man leben, aber sonst weiss man nicht wie lange man noch zu leben hätte. Sie hat sich die Brust entfernen lassen und macht jetzt eine adjuvante Chemo mit. Bei Dir ist es nun eine andere Ausgangssituation und ich werde Dir mit meinem Schreiben hier nicht helfen können.
Wenn Du auch eine Ärztin hast frag sie was sie tun würde in Deiner Situation
und welches das kleinere Risiko ist ein Rezidiv zu bekommen.
Ich wünsche Dir ganz, ganz viel Kraft um alles gut zu überstehen!
Und nein, Dein Mann wollte Dich ganz gewiss noch nicht zu sich holen.
Er weiss ja, dass Du irgendwann ankommen wirst bei ihm, aber jetzt noch nicht ! Ich hatte auch mal diesen Gedanken, als ein paar Wochen nach dem Tod meines Mannes unserem Sohn und mir im Auto fast das letzte Stündlein geschlagen hatte. Nur das schnelle Reaktionsvermögen unseres Sohnes hat das Schlimmste um Haaresbreite verhindert, bei Tempo 120. Er hat gerade noch ausweichen können und das Auto hinter uns hat es erwischt, da der entgegenkommende Fahrer direkt vor uns auf unsere Seite abkam.
Ich fragte damals ganz laut unseren Sohn ob Papa uns jetzt zu sich holen wollte oder ob er uns beschützt hat. Unser Sohn sagte sofort : Papa war unser Schutzengel !
Und Dein Mann wird Dein Schutzengel sein !
Viele liebe Grüsse, liebe Rowa, sei fest gedrückt.
Geli

[Blue]

Liebe Rowa,

immer wenn ich von Dir höre/lese sehe ich Euer Bild, das Bild am Meer von Ecki und Dir und so ist es auch jetzt wieder. Im Moment fehlen mir einfach die Worte. Es bleibt nur einen Knuddler zu schicken, ein ich denk an Dich.

Laß von Dir hören, es stimmt, einer ist immer da, immer noch.

Liebe Grüße
Bruni