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  #1  
Alt 29.05.2009, 14:16
Kerstin N. Kerstin N. ist offline
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Beiträge: 459
Standard AW: Was ein be****scheidenes Jahr 2008

Hallo ihr Lieben,

schön, daß hier so viel los ist.

Eure Geschichten gehen mir sehr zu Herzen. Sie sind so traurig aber auch voller Hoffnung.

Meine Mutter wollte eigentlich nie, daß wir ihr so nah kommen, wie wir ihr dann doch zu Schluß gekommen sind.
So lange ich denken kann, wollte sie eigentlich immer nur "ihre Ruhe" haben.
Sie war sehr froh, als wir endlich alle aus dem Hause und weit fortgezogen waren.
Das klingt sicher für euch sehr hart. Das war es auch.
Ich konnte mich nie damit abfinden, daß meine Mutter so unnahbar und kühl ihrer Familie gegenüber war.

Sie war nie besonders liebevoll oder zärtlich zu uns Kindern. Auch nicht zu unserer Tochter, ihrer einzigen Enkelin.

Als ich mit Anfang zwanzig erkrankte(meine Tochter war gerade etwa ein Jahr alt), war meine Mutter nicht an meiner Seite. Sie könne das nicht, meinte sie nur.

Mein Mann und ich ich mußten alleine klar kommen. Es war eine schlimme Zeit für uns.

Auch als einige Jahre später meine Mutter selber erkrankte, wollte sie alles alleine durchstehen. Nur meine Schwester ließ sie an sich ran.

Erst als die Krankheit zum dritten Mal auftrat - und ich wußte, daß es dieses Mal keine Hilfe mehr gab, wurde meine Mutter endlich zugänglicher.

Als unsere Mutter schließlich starb, waren wir alle bei ihr. Wir haben an ihrem Sterbebett gesessen und uns Geschichten von "früher" erzählt. Wir haben zusammen gelacht und geweint und uns gegenseitig gestützt.

Als meine Mutter morgens starb, waren mein Mann und ich die einzigen, die gerade wach waren. Die anderen waren kurz nach Hause gefahren um sich frisch zu machen. Nur mein Bruder saß auch noch bei uns.

Wir weckten ihn, als ich sah, daß die Atmung meiner Mutter aussetzte.
Es ging ganz schnell, leise und sehr friedvoll.

Meine Mutter wollte nicht über das Sterben oder den Tod sprechen. Sie sagte einmal, das ließe sie nicht an sich heran.
Wir haben das akzeptiert.
Sie bat mich aber einen Priester zu holen, wenn ich meinen würde, daß es sehr schlimm um sie stände. Sie wollte die letzte Ölung mit auf den Weg haben. Das war ihr Wunsch. Das war ihr sehr wichtig. Meine Mutter war Katholikin.

Am Tag bevor sie starb, erfüllte ich ihr diesen Wunsch. Der Arzt hatte uns zuvor berichtet, daß sich ihr Zustand sehr verschlechtern hätte. Es sei nun bald so weit.

Als der Priester dann kam, wußte sie sofort was los war.

Zuerst habe ich mir Vorwürfe gemacht, daß ich ihr unnötig Angst mache. Aber, als sie dann mit dem Pfarrer sprach und er sich richtig viel Zeit für sie nahm, wußte ich, daß es in Ordnung war.

Danach hat sie sogar noch mit Hilfe unserer Tochter ein wenig zu Mittag gegessen.

Bis nachmittags blieb sie bei Bewußtsein. Dann dämmerte sie mit Hilfe des Morphiums hinüber in einen Schlaf, der immer tiefer wurde.

Manchmal frage ich mich, ob sie uns noch gehört hat, wenn wir uns Geschichten aus unserer Kindheit erzählten oder auch einmal lachten und scherzten.

Gerne hätten wir ihr ermöglicht zu Hause zu sterben.
Sie war noch einmal ins Krankenhaus gebracht worden, weil sie so unter Luftnot litt und man ihre Lunge punktieren wollte.
Anschließend wollten wir sie wieder mit nach Hause nehmen. Aber es ist halt alles anders gekommen.

Das ist meine Geschichte.
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  #2  
Alt 29.05.2009, 14:50
Taddl Taddl ist offline
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Ort: Mittelfranken
Beiträge: 106
Standard AW: Was ein be****scheidenes Jahr 2008

Als ich eben deine Geschichte laß, musste ich erst einmal schlucken und überlegen, was und wie ich dir anworte.

Dieses Gefühl, wenn die Mutter einen nicht in den Arm nimmt, kenne ich. Bei mir zu Hause war das genauso. Deshalb empfindet meine Mutter meine Trauerbewältigung auch als lästig, sie ist es nicht gewohnt Gefühle zu zeigen. Sie sagt immer, sag doch nicht immer, so war es als Gert (mein Stiefvater) krank war. Sie kann es nicht nachvollziehen, dass ich reden muss und will.
Als mein Vater starb sagte die Ärztin zu ihr: "Sie und ihr Mann haben nicht viel über Gefühle geredet." Deshalb brauchte sie erst mal ein Mittel gegen ihre Depressionen, weil sie nie Gefühle zugelassen hat.

Ich kenne es auch, wenn eine Mutter nur "ihre Ruhe" habe will, jedoch nicht von meiner Mutter, aber von mir. Ich habe meine 1. Tocher (sie ist jetzt 22) mit 19 Jahren bekommen und wollte auch immer nur meine Ruhe. Ich war zu jung und unerfahren und es war viel zu früh ein Kind zu bekommen.

Ich weiss nicht, wie alt deine Mutter war, aber ich glaube es ist ein Generationen-Problem. "Ältere" Menschen (meine Mutter ist jetzt 63) können keine Gefühle zulassen und es ist normal für sie, das die Kinder so nebenherlaufen und alleine funktionieren. Als sie klein waren, war es genauso. Da hatte man keine Zeit für Kinder, wie es heute ist.
Wir machen uns heute Gedanken wie es unseren Kinder geht, was sie empfinden, ob sie Gefühlsmässig alles schaffen und räumen ihnen sehr viel Mitspracherecht innerhalb der Familie ein. Das alles gab es bei uns nicht (also zumindestenst nicht bei mir).

Ich finde es stark von dir, dass du trotz deiner Erfahrung die du gemacht hast, bist zum Schluss bei deiner Mama warst. Du wolltest ihr auch ermöglichen zu Hause zu sterben. Du hast dir nichts vorzuwerfen. Das war eine Leistung, von der ich mir nicht sicher bin, ob ich es geschafft hätte.

Ich bedanke mich bei dir, das du deine Geschichte erzählt hast. Und damit bin ich dir auch dankbar, dass du mich dazu animiert hast ins Hinterblieben-Formum zu wechslen.

Ich hoffe, wir können hier noch Gespräche führen, in denen wir das eine oder andere aufarbeiten, einfach indem wir darüber sprechen, was irgendwann schief gelaufen ist.

LG Deine Taddl
__________________
In unserer Sanduhr fällt das letzte Korn,
ich hab gewonnen und hab ebenso verlorn'.
Jedoch missen möcht ich nichts,
alles bleibt unser gedanklicher Besitz.



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27.10.1948 - 08.10.2008
BSDK-Diagnose im April 08
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  #3  
Alt 29.05.2009, 16:21
Kerstin N. Kerstin N. ist offline
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Beiträge: 459
Standard AW: Was ein be****scheidenes Jahr 2008

Hallo Taddl,

ja, gerne können wir weiter erzählen.

Ich habe zwar meinen Frieden mit meiner Mutter gemacht, aber ich denke noch sehr oft über ihr Sterben nach.

Meine Mutter war fast 28 Jahre alt, als sie mich bekam.
Hatte ich erwähnt, daß ich die Älteste bei uns bin?

Meine Mutter hat uns Kinder alle gleich schlecht behandelt. Obwohl meine Schwester sich heute einredet, daß unsere Mutter besonders liebevoll und zärtlich war.

Ich wünschte mir, das wäre so gewesen, schon wegen meiner Schwester, die sehr an meiner Mutter gehangen hat.

Kann sein, daß die Leute dieser Generation eher ein wenig unterkühlt und arm an Gefühlen sind.
Meine Mutter hatte auch keine einfache Kindheit.

Als unsere Tochter zur Welt kam, habe ich mir geschworen, es besser zu machen. Ich wollte, daß sie weiß, daß wir sie lieben.

Ich wollte nicht so werden wie unsere Mutter, die uns Kinder stets für alles verantwortlich machte, was ihr im Leben Schlechtes passiert ist(und wenn es nur um die Bügelwäsche ging, die wir produzierten).

Wieviel leichter haben es Menschen, die es gewohnt sind über ihre Gefühle zu sprechen, sie überhaupt erst zuzulassen.
Vor allen Dingen im Angesicht einer schweren Krankheit.

Aber wenigstens konnte ich noch meinen Frieden mit meiner Mutter machen. Sie hat zwar nicht mit mir gesprochen um noch einiges klarzustellen. Aber wenigstens hat sie uns noch sagen können, daß sie uns alle liebt und wie stolz sie auf uns ist.

Das war doch mal was!

Aber du scheinst ja auch kein einfaches Verhältnis zu deiner Mutter zu haben.
Du hast recht. Früher wurden die Kinder so mitgezogen. Kinder hatte man halt. War eben so.

Gut, daß sich die Zeiten geändert haben(bei vielen Menschen hierzulande jedenfalls, muß ich mit Einschränkung hinzufügen).

Ich schicke dir ganz liebe Grüße und freue mich, wieder von dir zu lesen.

Kerstin
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